Die Erfolge der Buschreiter und der Dressurreiter setzten Ludger Beerbaum & Co. mächtig unter Druck.

Vierundzwanzig Jahre ist das nun her, fast ein Vierteljahrhundert – für Ludger Beerbaum der Höhepunkt seiner Karriere: „Mein Olympiasieg von Barcelona 1992 ist mein größter Erfolg, ja, das möchte ich schon so sagen. Wir erlebten damals dramatische Tage, denn im Nationenpreis war bei Classic Touch das Zaumzeug gerissen, mein Pferd geriet außer Kontrolle, ich musste abspringen. Ein Desaster für uns, wir wurden nur Neunte. Im Einzelspringen am Schlusstag habe ich dann gewonnen. Unglaublich!“

Gestern, gegen 10.30 Uhr Ortszeit im Centro Hipsmo von Deodoro, einem der drei großen Olympiaschauplätze von Rio, startete das deutsche Quintett um Ludger Beerbaum locker und lässig in seine erste Trainingsrunde im Stadion, das 15 000 Zuschauern Platz bietet. Allerdings, der Aufgalopp, bei dem jeder der annähernd neunzig Reiter, darunter auch die Reservisten, exakt neunzig Sekunden Zeit bekommt, um sein Pferd nach freiem Ermessen an die Arena zu gewöhnen, findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Erst heute, um 15 Uhr deutscher Zeit, ertönt zum ersten Mal die Startglocke für das olympische Springturnier 2016. Ludger Beerbaum sagt: „Es wird Zeit, dass es endlich los geht.“ Und Otto Becker, der Bundestrainer, wiederholt es immer wieder:

„Wir wollen hier in Rio eine Medaille holen, das muss unser Anspruch sein.“

Leicht wird das nicht werden, denn wen man auch fragt von den Weltstars des internationalen Springsports, sie nennen gleich vier bis fünf Equipen, die für den Olympiasieg in Frage kommen. Eric Lamaze beispielsweise, der kanadische Olympiasieger von Hongkong 2008, sagt: „Ich komme gerade vom Turnier in London, habe unsere britischen Freunde dort ganz stark erlebt.“

Diese Einschätzung sorgt für Staunen und Schmunzeln, denn die legendären Gebrüder John und Michael Whitaker sind mit 61 und 56 Jahren zwei Oldies, ihr Freund Nick Skelton (58) bestreitet seine siebten Spiele, holte vor vier Jahren in London Gold mit einer anders formierten Truppe.

Dann ist da die Kanadierin Amy Millar (39), Tochter des Olympiarekordhalters Ian Millar (69). Seit den Spielen von München 1972 bis zu denen von London 2012 hat er als Springreiter teilgenommen – zehn Spiele, so viel wie kein anderer Sportler. Rio de Janeiro sollten seine elften Spiele sein, aber sein Pferd Dixson ist leider nicht fit, so startet eben die Tochter: „Meine Favoriten sind die Amerikaner, die Franzosen, die Niederländer, die Deutschen – mein Vater hat übrigens fest vor, 2020 in Tokio wieder am Start zu sein, er ist gerade dabei ein neues junges Pferd auszubilden.“

Was die Niederländer betrifft, so kommen sie als Welt- und Europameister nach Rio, an der Spitze ihr Superstar Jeroen Dubbeldam, Olympiasieger von Sydney, Weltmeister von Caen 2014 und Europameister von Aachen 2015: Zum letzten Male sattelt der 43-jährige Pferdehändler sein 12-jähriges Erfolgspferd Zenith wobei „sein“ nicht ganz korrekt ist: Das Pferd gehört nämlich einer Stiftung, die den Oranjes junge Talente zur Verfügung stellt.

Zenith steht nach den Spielen von Rio zum Verkauf, um frisches Geld für neue junge Pferde zu bekommen – Saudis oder Kataris werden die dicken Scheine auf den Tisch blättern, um das weltbeste Springpferd der letzten Jahre für sich zu gewinnen.

Für Deutschland bleibt es bei der Aufstellung: Ludger Beerbaum mit dem Holsteiner Casello, Daniel Deusser mit dem Belgier First Class, Marcus Ehning mit dem Schimmelhengst Cornado, der übrigens dem Landgestüt in Warendorf gehört, also dem Land Nordrhein-Westfalen, und Christian Ahlmann mit dem Niederländer Taloubet. Meredith Michaels-Beerbaum bleibt vor Ort nur die Rolle des Reservereiters.

Heute also das erste Springen für die Einzel- und Mannschaftswertung, am Dienstag und Mittwoch, verteilt auf zwei Tage, folgt der Nationenpreis um die Mannschaftsmedaillen. Nach dem Donnerstag, an dem die Pferde eine Pause bekommen, steht am Freitag das Einzelfinale an – für die punkbesten 35 Reiter geht es dabei wieder bei null los. Ludger Beerbaum sagt:

„Ein Dutzend Reiter können hier Olympiasieger werden.“

Ob er sich dazu rechnet, bleibt offen. Aber der 53-Jährige weiß, dass Rio seine letzte Chance ist. Er sagt: „Ich weiß, dass das Thema, wie lange ich noch reite, wann ich meine Karriere beende, die Leute beschäftigt. Heute sage ich hier: Ich mache weiter – aber ich weiß noch nicht, wie lange!“ Typisch Beerbaum – zum Schluss ein kleiner Scherz mit Tiefgang.