Michael Jung und Sandra Auffarth starten mit teuren Patzern in den Dreikampf aus Dressur, Geländeritt und Springparcours. Bis zum erneuten Gold ist noch ein weiter Weg.

Die vornehme und altehrwürdige Federation Equestre International, kurz FEI, also der Weltverband der Reiter, ist ein glühender Fan von Michael Jung. Auf dessen Internetseite findet man ein kuriose Lob: „Wenn Du Michi Jung die Augen verbindest und ihn verkehrt herum aufs Pferd setzt – er gewinnt trotzdem!“ Frage an den Gelobten: „Gaubt der Jung das auch?“ Antwort sofort: „Nein!!!“ Dann lacht der Doppel-Olympiasieger von London laut auf, amüsiert sich köstlich darüber, zu welch blumigen Übertreibungen die Leute fähig sind.

Natürlich freut er sich über Komplimente und Glückwünsche – aber in Maßen und, bitte, keine Übertreibungen. Michi Jung bleibt cool, ließ die Eröffnungsfeier im Stadion Maracana aus: „Wenn man am nächsten Tag reiten muss, ist es besser auszuruhen. Ich habe gejoggt, hab‘ ein bisschen im Fernsehen verfolgt – und dann hab‘ ich geschlafen.“

Fragt man den 34-jährige Pferdewirtschaftsmeister aus Horb, wie er das alles schafft, die magischen Momente mit seinen Pferden, die perfekten Ritte wie aus dem Bilderbuch, dann bekommt man die lapidare Antwort: „Das ist mein Beruf. Ich mach‘ meine Arbeit. Mehr nicht.“ Nein, für Glamour und starke Sprüche ist dieser Mann nicht zu haben.

Die bunten Gazetten beißen sich die Zähne an ihm aus. Freundin Fay Füllgraebe, Tochter eines Reitlehrer-Ehepaares und Physiotherapeutin für Pferde, kümmert sich rund um die Uhr um ihre zwei Lieblinge: den 16-jährigen Sam und den 34-jährigen Michi. Da hat sie alle Hände zu tun.

Das wird vor allem morgen so sein, am Montag, wenn im Militärdistrikt Deodoro der olympische Geländeritt ansteht, Start ist um 15 Uhr deutscher Zeit: 5840 Meter mit 45 Sprüngen, zu reiten in 10.15 Minuten, sofern man keine Strafpunkte kassieren will. „Diese Zeitvorgabe ist wieder sehr eng“, sagt Michael Jung. Viermal, wie üblich, wird er die Geländestrecke vorher zu Fuß abgehen, sich jeden Meter penibel genau einprägen, jedes Hindernis, alle vier kniffligen Wasser-Hindernisse, die Linienführung, das grasgrüne Geläuf – schlichtweg alles.

Co-Bundestrainer Chris Bartle, der „Hexenmeister“ des deutschen Teams, erläutert die Kriterien: „Meine Reiter müssen zu jeder Sekunde wissen, was zu tun ist. Wie laufen Rhythmus und Kondition ihrer Pferde auf dem Kurs, wie reagieren sie, wenn ihre Cracks an einem Sprung etwa zu weit rechts ankommen, zu weit links, was ist zu tun, wenn sie verweigern sollten?“ Doch die wichtigste Order von allen lautet: Auf jeden Fall das Ziel erreichen! Sich in den Dienst der Mannschaft stellen! Die Teammedaille rangiert vor dem Ehrgeiz jedes Einzelnen!

Jeder hat der Order der Trainer uneingeschränkt Folge zu leisten. Das klingt einfach, ist es aber nicht: Reiter sind nun mal Einzelkämpfer, was in der Natur ihrer Sportart begründet liegt. Olympiasieger in Hongkong 2008 und in London 2012 wurden die deutschen Buschreiter, weil sie sich zu einem professionell arbeiten Team zusammentaten. Wer am Dienstagabend in Rio wieder auf den obersten Treppchen stehen möchte, der muss einmal mehr zusammenhalten wie Pech und Schwefel. Die Goldfavoriten heißen übrigens Michael Jung, Ingrid Klimke, Julia Krajewski und Sandra Auffarth.

Nach dem ersten Tag auf dem Dressurviereck, nach 33 von 65 Konkurrenten, liegt Michael Jung, der hohe Favorit, mit seinem 16-jährigen Württemberger Wallach Sam allerdings nur auf Rang drei, denn im sogenannten Außengalopp setzte Sam einen fliegenden Galoppwechsel – an dieser Stelle ein schwerer Patzer. Sein Reiter sagte: „Das war ein ärgerliches und teures Missverständnis. Sonst ging Sam sehr gut – es ist noch alles offen.“

Einen für ihre Verhältnisse ausgesprochen schwachen Start bot Sandra Auffahrt, die amtierende Weltmeisterin, auf ihrem 14-jährigen Franzosen Opgun Louvo. Nach zwei Patzern und einem Ritt mit zu wenig Risiko und Kampfgeist belegt sie bei Halbzeit der Dressur nur auf Platz vier. Die 29-jährige Berufsreiterin blickt jedoch zuversichtlich auf die nächsten Tage:

„Ich habe das beste Pferd der Welt – weshalb sollte ich unzufrieden sein?“

Das Gesicht von Bundestrainer Hans Melzer sprach dagegen Bände: „Morgen müssen Ingrid Klimke mit Hale Bob und Julia Krajewski mit Samourai unser Ergebnis festigen, damit wir als führendes Team am Montag ins Gelände starten können.“ An der Spitze der Einzelwertung liegen der Brite William Fox-Pitt auf Chilli Morning, ein Dauerrivale von Michael Jung, dahinter der Australier Christopher Burton auf dem tollen Rappen Santano.