Otto Beckers Equipe sichert sich die erste Medaille seit 2000. Die Pleiten von Athen, Hongkong und London sind vergessen. Neue Chance im Einzelfinale am Freitag.

Wenn Ludger Beerbaum Emotionen zeigt, gibt es nur Extreme: Im Erfolg verwandelt sich der 52-Jährige binnen Sekunden zum Lausbub, der Sprüche raushaut und die ganze Welt umarmen möchte, dem nichts lieber ist, als von allen geliebt und bewundert zu werden.

Geht’s hingegen schief, ist es ratsam, ihm nicht zu nahe zu kommen oder gar kritische Fragen zu stellen, denn dann schießt er quasi wie mit Giftpfeilen zurück: „Mit Ihrer Frage kann ich gar nichts anfangen. Was soll das?“ Es gab sogar Zeiten, da knobelten die Journalisten, wer von ihnen Ludger anzurufen habe zwecks Stellungnahme nach durchwachsenem Ritt.

Gestern aber, Ortszeit Rio de Janeiro 12.50 Uhr, war alles anders, war speziell, war absolut magisch – nichts für schwache Nerven. Beerbaum überglücklich: „Ich bin wirklich ein bisschen stolz, dass ich meinem Team mit einer fehlerfreien Rund noch das Stechen gegen die Kanadier sichern konnte. Es war ein Tag voller Emotionen für mich, denn ich weiß, dass ich keine Olympischen Spiele mehr bestreiten werde.

Für mich ist das olympische Turnier beendet, ich bleibe aber im Team, werde meinen drei Teamkollegen helfen, am Freitag die Chance auf die Einzelmedaillen zu nutzen. Ich bin happy mit meiner Bronzemedaille.“ Christan Ahlmann sagte mit Blick auf seinen Teamkapitän:

„Ich ziehe den Hut vor Ludger. Heute hat er uns glanzvoll im Rennen gehalten – wir Jüngere können uns vom ihm eine Scheibe abschneiden.“

Frühzeitig hatten sich die Franzosen das Gold gesichert, angeführt von ihrem stets lustigen Roger Yves Bost – der zweite Erfolg nach dem Gold für ihre Buschreiter vor einer Woche. Auch die Silbermedaille war für Otto Beckers Reiter rasch unerreichbar, von den Amerikanern unter ihrem Star McLain Ward sicher erobert. Flüchtigkeitsfehler von Christian Ahlmanns Taloubet und Fibonacci unter Meredith Michaels-Beerbaum hatten die Equipe von Bundestrainer Otto Becker ins Hintertreffen gebracht. Spannung pur.

Dabei waren die Deutschen als einziges Team mit vier Reitern angetreten, während Niederländer, Brasilianer und Amerikaner nur jeweils drei Reiter aufbieten konnten: Der Niederländer Jur Vrieling war disqualifiziert wegen grobem Peitschengebrauch, der Brasilianer Stephan de Freitas, weil sein Pferd nach einem Sporenstich leicht blutete. Die US-Profireiterin Beezie Madden wiederum musste ihren Cortes zurückziehen, weil er sich leicht verletzt hatte.

Die neuen, strengeren Regeln für den Sport mit den Pferden wurden in diesen Tagen von Rio äußerst streng ausgelegt und angewendet. Die Briten, Olympiasieger von London, hatten die zweite Runde gar nicht erreicht, ebenso wenig wie die Kataris, die in den letzten Jahren für Millionensummen Spitzenpferde gekauft haben – allein mit Geld lassen sich reiterliche Erfolge eben nicht kaufen, man muss auch als Reiter olympisches Format besitzen.

Im Stechen um die Bronzemedaille legten Christian Ahlmann, Meredith Michaels-Beerbaum und Daniel Deusser drei Nullrunden in Bestzeiten vor – dem konnten die Kanadier nichts entgegensetzen, bekamen durch Tiffany Foster und Amy Millar frühzeitig Fehler, sodass Ludger Beerbaum als vierter Deutscher gar nicht mehr antreten musste. Apropos Millar. Amy (39) ist die Tochter der Reiterlegende Ian Millar aus Ontario, der von 1972 in München bis London 2012 zehn Olympische Spiele bestritten hat – Rekordhalter über alle Sportarten hinweg.

Der 69-jährige sagte am Rande des Parcours: „Leider war mein Pferd diesmal nicht fit, also konnte Amy antreten. Aber wenn ich in vier Jahren wieder ein Toppferd habe, werde ich meine elften Spiele bestreiten.“ Dann ist er nach Adam Riese 73. Bundestrainer Otto Becker:

„Das ganze Team arbeitet hier seit Tagen optimal zusammen, also war es ein Erfolg für unser ganzes Team. Ich bin stolz auf meine Mannschaft, die bis zum Ende gekämpft, im Stechen gegen die Kanadier alles gegeben hat. Sie haben die Medaille verdient.“

Dennis Peiler, der Geschäftsführer des Deutschen Olympiadekomitees für Reiterei (DOKR), verwies auf die sportpolitische Dimension: „Wir hatten dem Deutschen Olympischen Sportbund drei bis fünf Medaillen versprochen – jetzt sind es sechs. Alle deutschen Reiter, die hier in Rio angetreten sind, reisen mit Medaillen heim. Das ist für uns der größte olympische Erfolg seit vielen Jahren.“

In der Tat. Obwohl man es in Reiterkreisen am Ende eines olympischen Festtages nicht gerne hört: 16 Jahre sind vergangen seit dem Gold von Sydney für Otto Becker auf Cento, den heutigen Bundestrainer, Marcus Ehning auf For Pleasure, der in Rio zuschauen musste, nachdem sein Cornado nicht fit war, für Lars Nieberg auf Esprit und, nicht zu vergessen, für Ludger Beerbaum, damals auf seinem Hengst Goldfever. 2004 in Athen schien das Gold sicher, doch eine verbotene Medikation für den Hengst kostete das Gold, warf die Mannschaft auf Bronze zurück.

2008 in Hongkong gab’s einen neuen Tiefpunkt, 2012 in London musste Beerbaum passen, die anderen reisten ohne Medaille ab. Der Bann scheint also gebrochen. Offen bleibt die Frage, wie es für Beerbaum jetzt weitergeht. Gestern jedenfalls machte er nicht den Anschein, seine Karriere in absehbarer Zeit beenden zu wollen. Seine Fans müssen sich in Geduld üben – und abwarten.
Morgen geht es für die punktbesten 35 Reiter der vergangenen Tage von Rio in einem Springen über zwei verschiedene Parcours um die Einzelmedaillen.

Daniel Deusser, Christian Ahlmann und Meredith Michaels-Beerbaum sind qualifiziert, Ludger Beerbaum nicht. Wichtig zu wissen: Für alle 35 Pferde geht es wieder bei null los – ein Tagesspringen nach Art eines Großen Preise wie etwa in der Aachener Soers.