Die deutschen Buschreiter glänzen im Gelände und verteidigen ihre knappe Führung aus der Dressur. Ingrid Klimke führt in der Einzelwertung.

So eine Goldmedaille zum 30. Geburtstag – das wäre die Krönung! Die deutschen Buschreiter mit Ingrid Klimke, Sandra Auffahrt, Dirk Schrade und Peter Thomsen können ihrem Welt- und Europameister Michael Jung heute dieses Geschenk machen. Allerdings, ganz ohne die tätige Mithilfe des Geburtstagskindes, ohne ihren Star aus Horb und seinen zwölfjährigen Württemberger Wallach Sam, wird es nicht klappen: „Wir wollen es nicht verschreien und uns zu früh freuen“, sagte Michael Jung gestern Abend nach dem zeitweise dramatisch verlaufenen Geländeritt.

„Bevor wir meinen Geburtstag so richtig feiern können, ist es noch ein langer Weg. Gefeiert wird erst morgen Abend.“ Das Finale vor 20 000 erwarteten Zuschauern im Greenwich Park sei, so die Reiter übereinstimmend, „ein ganz neuer Tag“. Über Mannschafts- und Einzelgold bei den Buschreitern entscheiden heute zwei verschiedene Springparcours. Erst geht es von 11.30 Uhr deutscher Zeit an um die Mannschaftsentscheidung, danach für die besten 25 Einzelreiter um Gold, Silber und Bronze.

Hans Melzer, der Bundestrainer, brachte die Lage nach der Dressur und dem Geländeritt auf den Punkt: „Meine Mannschaft hat heute großartig gekämpft. Wir haben unsere Führung aus der Dressur verteidigen können, das ist für mich die Hauptsache. Auch in der Einzelwertung haben wir eine Medaillenchance.“ Sein Quintett, von dem laut Reglement nur die besten in drei Reiter jeder Teilprüfung gewertet werden, liegt vor dem entscheidenden Finale mit 124,70 zu 130,20 Strafpunkten nicht gerade komfortabel vor den Briten, die im Greenwich Park die umjubelten Lieblinge des Publikums waren.

Auf der Tribüne, trotz großer Sonnenbrillen unschwer zu erkennen, verfolgten die Royals, William und Kate, Harry und Camilla sowie Prinzessin Anne das Geschehen. Ihre Tochter Zara Phillips liegt mit ihrem High Kingdom nach fehlerloser Runde auf Rang zehn der Einzelwertung.

Zwei Bilderbuchritte von Ingrid Klimke mit Abraxas und Michael Jung auf Sam hielten das deutsche Team letztlich an der Spitze. Klimke, die vor vier Jahren auch zum Goldteam von Hongkong zählte, teilt sich die Führung in der Einzelwertung mit der in Warendorf lebenden Schwedin Sara Algotsson-Ostholt, Ehefrau von Frank Ostholt, der den Sprung ins deutsche Team für London nur knapp verpasst hat. Sandra Auffahrt, die Vizeeuropameisterin, kam mit ihrem Opgun Louvo mit nur wenigen Zeitfehlern ins Ziel:

„Leider wurde mein Pferd gegen Ende des Kurses immer müder. Opgun galoppierte am Anfang der Strecke etwas übermotiviert, das kostete uns unnötig Kräfte.“

Unzufrieden mit seiner Leistung auf King Artus war der im westfälischen Sprockhövel lebende Schwabe Dirk Schrade, der mehr als zehn Zeitstrafpunkte aus dem Busch mitbrachte und deutlich zurückfiel: „Wir beide haben heute keinen Rhythmus gefunden. Leider hat King Artus am zweiten Wasserhindernis ein Hufeisen verloren, sodass wir gehandicapt waren.“

Der 5728 Meter lange Geländeritt durch den Greenwich Park, in dem 50 000 Besucher begeistert mitgingen, erwies sich als der von allen erwartet schwere Kurs. 15 der 74 gestarteten Pferde und Reiter mussten ausscheiden. Kein Pferd kam zu Schaden, die Kanadierin Hawley Bennett-Awad musste zur Beobachtung ins Krankenhaus gebracht werden. Mangelnde Erfahrung auf internationalem Terrain brachte auch für die beiden sympathischen Japaner Kenki Sato, einen Schüler von Michael Jung, und Yoshiaki Oiwa, einen Schüler von Dirk Schrade, nach Stürzen das vorzeitige Aus. Letzterer hatte am Vortag auf seiner französischen Stute Noonday de Conde die Dressurprüfung zum Auftakt gewonnen.

Alles andere als mangelnde Erfahrung zeigte der 56-jährige Mark Todd aus Neuseeland auf dem Hannoveraner Campino. Der Olympiasieger von Los Angeles 1984 und Seoul 1988 liegt, ebenfalls nach fehlerfreiem Ritt, in der Einzelwertung bisher auf dem Bronzeplatz. Vor zwei Jahren, als Michael Jung in Kentucky Weltmeister wurde, hatte Mark Todd gesagt: „Ich will wieder dorthin kommen, wo Michael jetzt ist – ganz nach oben.“

Beide können heute Geschichte schreiben: Der Schwabe hat die Chance, er erste amtierende Olympiasieger, Welt- und Europameister zu werden. Mark Todd bietet sich die Möglichkeit, sein drittes Einzelgold zu gewinnen – schwer zu sagen, was die größere Sensation wäre. Und Mark Todd verriet am Abend, was für die Insider der Szene keine Neuigkeit mehr ist: „Mein Pferd Campino stammt übrigens auf dem Stall von Dirk Schrade.“