Die drei Bundestrainer für Springen, Dressur und Vielseitigkeit setzen sich vor London hohe Ziele: Medaillen sind Pflicht.

Mit der Geschichte seines Sports hat Otto Becker, seit 2009 der Bundestrainer der Springreiter, nur wenig im Sinn: „Um das Historische sollen sich die Medien kümmern“, antwortete er dieser Tage auf die Frage, ob er eigentlich wisse, dass er weltweit der erste Nationalcoach sei, der in London die Chance bekomme, nach Olympiagold als Aktiver auch Olympiagold als Trainer zu holen?

2000 in Sydney gewann Becker auf dem Schimmelhengst Cento Teamgold – jetzt führt der 53-jährige seine Equipe, den amtierenden Welt- und Europameister, erstmals als Trainer auf den olympischen Parcours. Doch Becker wiegelt ab: „Die Franzosen und die Engländer sind für mich die Favoriten.“ Der gewiefte Taktiker versucht, den ärgsten Druck von seiner Mannschaft zu nehmen.

„Wir müssen Demut zeigen“, rät der Bundestrainer sich und seinem Team, denn die Konkurrenz zeigt auf „Germany“, wenn die Frage nach dem Topfavoriten für Olympia aufkommt. Beckers Spitzenkader besteht aus acht Reitern, sechs von ihnen dürfen zum Greenwich Park reisen, wo die Reitwettkämpfe stattfinden, aber letztlich können nur vier starten. So streng sind die olympischen Regeln. Der Bundestrainer warnt:

„Das wird kein Selbstläufer, wir fahren nicht dorthin, um die Medaillen einfach abzuholen.“

Über sein Wunschteam äußert er sich öffentlich nicht: die beiden Holsteiner Janne Meyer mit Lambrasco und Carsten-Otto Nagel mit Corradina dürften dazugehören, sodann Marco Kutscher mit Cornet Obolensky und Christian Ahlmann, der Sünder von Hongkong 2008, mit Taloubet. Ob Ludger Beerbaum mit Gotha den Sprung zu seinen sechsten olympischen Spielen schafft – das ist die große Frage.

Auch Hans Melzer (60), der Bundestrainer der Buschreiter, hat vier Monate vor den Spielen ein Luxusproblem: „Michael Jung aus Horb, unser amtierender Welt- und Europameister, ist natürlich der Topfavorit. Er hat die Saison mit einem Doppelsieg in Fontainebleau begonnen. Unser ,Michi‘ ist ein Siegreiter.“ Also hängt die Latte besonders hoch, zumal Hans Melzer und sein Co-Trainer Chris Bartle 2008 in Hongkong den holsteiner Zahnarzt Hinrich Romeike auf Marius zum Olympiasieg führten, ebenso ihr Team.

Romeike hat sich vor wenigen Tagen vom großen Sport verabschiedet – der neue Superstar heißt Michael Jung. Ihn und seine Konkurrenten erwartet im Greenwich Park, so Melzer, „ein hügeliger Kurs, auf dem es giftig auf und ab geht, nur leider ist der Boden nicht optimal“.

Melzers Olympiakader besteht aus elf Namen, fünf davon dürfen in London antreten. „Keiner hat gegenwärtig seinen Platz sicher“, warnt auch dieser Bundestrainer, nur Michael Jung gilt quasi als gesetzt. Das sportliche Ziel ist klar: „Wir wollen die Engländer im eigenen Land schlagen.“

Die Engländer, den neuen Dressur-Europameister, vor heimischem Publikum zu besiegen, ist auch das Ziel von Holger Schmezer (65), dem Bundestrainer der Dressurreiter. Doch durch den Hype um den „Wunderhengst“ Totilas ist im deutschen Team nichts mehr wie es war: „Wir hatten kürzlich in Warendorf einen Trainingslehrgang unter Ausschluss der Öffentlichkeit, dabei hat Matthias Rath seinen Hengst stark verbessert vorgestellt, beide sind nach den anfänglichen Problemen auf einem guten Weg“, beteuert Schmezer. Nun aber müsse sich Matthias Rath „im Wettkampf stellen und endlich zeigen, was er wirklich drauf hat“.

Der Dressur-Bundestrainer, dessen Team 2008 in Hongkong Gold holte, dazu Silber durch Isabell Werth und Bronze durch Heike Kemmer, spart im Vorfeld der Spiele nicht mit Kritik:

„Mein Spitzenkader besteht aus sieben Leuten, in London dürfen aber nur vier starten: drei in der Mannschaft, einer als Einzelreiter. Das sind neue Regeln, die mir gar nicht gefallen – aber so ist es nun mal.“

Mit einem Augenzwinkern nennt Schmezer sein sportliches Traumziel: „In London gibt es vier Medaillen – eine für das Team, drei für die Einzelreiter.“ Das wäre der totale Triumpf gegen die Engländer, die Niederländer und die Amerikaner. Doch die Deutschen sind nicht mehr das Maß aller Dinge auf dem Dressurviereck. Schmezers Mannschaft könnte am Ende aus Isabell Werth, Matthias Rath, Helen Langehanenberg und Christina Sprehe bestehen – für ihn selbst wird es er der letzte große Wettkampf, denn er will sein Amt als Bundestrainer nach zwölf Jahren abgeben.

Über die Nachfolge wird bereits gemunkelt: Alles spricht für die 48-jährige Monica Theodorescu aus der Nähe von Warendorf, die Mannschafts-Olympiasiegerin von Seoul, Barcelona und Atlanta. Noch aber ist die Tochter des legendären Trainers George Theodorescu im Sattel aktiv – sie versucht, mit dem in Baden-Württemberg gezüchteten Fuchs Whisper den Sprung ins Olympiateam für London zu schaffen.

Qualifikation Viele Sichtungsturniere, die die Kräfte ihrer Pferde strapazieren, gibt es für die Topreiter nicht mehr. Pflichtstart für Dressur und Springen sind die deutschen Meisterschaften Mitte Juni in Balve/Sauerland sowie (auch für die Buschreiter) die Aachener Soers Anfang Juli. Dort werden am 7. und 8. Juli die Olympiareiter endgültig nominiert.

Spitzenkader Für die drei olympischen Disziplinen Springen, Dressur und Vielseitigkeit hat der Reiterverband in Warendorf spezielle Kader aufgestellt. Ihre Mitglieder dürfen ihre Toppferde nur in Absprache mit den Bundestrainern einsetzen.

Springen Christian Ahlmann (Marl), Ludger Beerbaum, Marco Kutscher und Philipp Weishaupt (alle Riesenbeck), Marcus Ehning (Borken), Janne Meyer (Schenefeld), Meredith Michaels-Beerbaum (Thedinghausen) und Carsten-Otto Nagel (Wedel).

Dressur Anabel Balkenhol (Rosendahl), Helen Langehanenberg (Havixbeck), Matthias Rath (Kronberg), Ulla Salzgeber (Buchloe), Kristina Sprehe (Dinklage), Monica Theodorescu (Sassenberg) und Isabell Werth (Rheinberg).

Vielseitigkeit Michael Jung (Horb), Sandra Auffahrt (Ganderkesee), Andreas Dibowski (Döhle), Ingrid Klimke (Münster), Kai-Steffen Maier (Niederhausen), Frank und Andreas Ostholt (Warendorf), Dirk Schrade (Sprockhövel), Peter Thomsen (Lindewitt), Anna Warnecke (Osnabrück) und Benjamin Winter (Warendorf).