Madeleine Winter-Schulze unterstützt Isabell Werth, Ludger Beerbaum, Ingrid Klimke und auch Michael Jung. Ohne die 75-Jährige kämpften die deutschen Stars nur unter ferner liefen.

Wenn der Turniertag beginnt, sitzt Madeleine Winter-Schulze irgendwo am Rand, einen Notizblock auf den Knien und schreibt mit Akribie: „Ich muss doch genau wissen, wann meine Jockeys starten, denn sie erwarten von mir, dass ich da bin und zuschaue. Ohne Spickzettel verliere ich die Übersicht.“ Dann lacht die 75-jährige Berlinerin mit der gertenschlanken Figur laut auf, strebt schnellen Schrittes durch die Aachener Soers einem Trainingsplatz zu, auf dem gerade Isabell Werth den siebenjährigen Schimmelhengst Belantis trainiert.

Dieser „kapitale Hirsch“, wie die Reiter im Stalljargon gerne sagen, gehört fifty-fifty dem Brandenburgischen Staatsgestüt in Neustadt/Dosse und Madeleine Winter-Schulze. 2017 wird sie auch die zweite Hälfte dieses Staatsvererbers übernehmen. Sicher ist sicher, denn „Isabell muss den Rücken frei haben, sich ganz auf die Ausbildung unserer Pferde konzentrieren können.“ Das Damoklesschwert eines Verkaufs, wenn aus den jungen Talenten international gefragte Cracks geworden sind – für die „Jockeys“ von Madeleine Winter-Schulze kein Thema.

Apropos Jockeys. Eigentlich sind ja Jockeys kleine, federleichte Menschen, die Galopprennen reiten – Ludger Beerbaum beispielsweise, an die eins neunzig groß, entspricht dem nie und nimmer. Ganz einfach, Madeleine Winter-Schulze mag den lockeren Reiterjargon, mag Menschen, die nicht lange fackeln, sondern zupacken und die Konkurrenz das Fürchten lehren.

Auf die einfache Frage, wie viele Pferde sie ihr Eigen nennt, kommt ihre Antwort ziemlich vage: „Wees ick nich!“, sagt sie, typisch berlinerisch, schaut verschmitzt auf den Fragesteller, dabei hoffend, dass der nicht weiter bohrt. Dann lässt sie sich erweichen und sagt leise: „So um die fünfzig.“ Es könnten aber gut und gerne hundert sein. Derlei Zahlen spielen für sie keine Rolle. Ja, sagt sie dann noch, „ich hab‘ einen Zuchtbetrieb in Mellendorf bei Hannover, da arbeiten zehn Leute für mich, einige schon an die dreißig Jahre. Darauf ist sie stolz – eine Arbeitgeberin aus dem Bilderbuch.

Kein Zweifel, ohne Madeleine Winter-Schulze und ihre Großzügigkeit wären die deutschen Topreiter weltweit nicht konkurrenzfähig. Isabell Werths Spitzenpferde gehören dieser wohlhabenden Pferdenärrin, ebenso die Cracks von Ludger Beerbaum, schließlich auch das (vor Olympia leider verletzte) beste Pferde der Buschreiterin Ingrid Klimke, die Stute Escada.

Als Michael Jung 2010 eine dramatische Woche lang um seinen Sam bangen musste, weil dessen Mitbesitzerin Sabine Kreuter ihn gekidnappt hatte, um Millionen Euro zu erlösen, sicherte der deutsche Verband in harten Verhandlungen den Besitz, Madeleine Winter-Schulze bewilligte seinerzeit spontan 50 000 Euro. Die Stute Weihegold, auf der Isabell Werth jetzt in Rio reitet, hat ihre Mäzenin bis zum Ende der Olympiasaison von den Besitzern geleast. Der simple Grund: „Ich tue alles, damit Isabell ihre sechste Goldmedaille gewinnt. Das ist unser gemeinsames Ziel.“

Wer die Berliner Wirtschaftsgeschichte der 50er Jahre kennt, dem sagt der Name Eduard Winter einiges. Er war in jener Zeit der „Auto-König“ in der ummauerten Stadt, verkaufte exklusiv VW und Porsche, dazu amerikanische Luxusschlitten. Außerdem besaß der Vater zweier Töchter eine Coca-Cola-Fabrik sowie diverse andere Firmen.

Seine Tochter Madeleine, die bis heute in den Verwaltungsräten sitzt, wurde 1959 deutsche Meisterin der Dressurdamen, ihr Pferd hieß natürlich Coca Cola. 1969 und 1975 gewann sie die deutsche Meisterschaft der Springreiterinnen – ein Beweis ihrer vielseitigen Reitkunst. Schwester Marion Jauß neigt übrigens dem Trabrennsport zu, saß selbst erfolgreich im Sulky – heute gehören ihr einige Pferde des Olympia-Springreiters Christian Ahlmann.

Ludger Beerbaum sagt: „Ohne Madeleines Hilfe wäre meine Karriere nie so verlaufen“ und Isabell Werth sagt liebevoll: „Sie hat erfolgreich geritten, züchtet Pferde, die im Spitzensport gehen – das ist einmalig. Ich verdanke ihr so unendlich viel.“ Die Gelobte wiederum, stets bescheiden und zurückhaltend, gibt diese Komplimente auf besondere Weise zurück:

„Seit 1997 unterstütze ich Ludger, seit 2001 auch Isabell. Wir sind engste Freunde geworden. Als 2008 mein Mann Dieter nach schwerer Krankheit starb, haben die beiden mich aufgefangen. Das hat mir geholfen. Wir sind wie eine Familie.“

Jetzt in Rio, auf dem Gelände des Centro Olimpico de Hipismo, braucht Madeleine Winter-Schulze keinen Notizblock wie kürzlich in der Aachener Soers, wo täglich bis zu einem Dutzend ihrer Pferde am Start waren: „Unseren Buschreitern drücke ich die Daumen, schade nur, dass Ingrid Klimke meine Stute Escada nicht reiten kann, weil sie nicht fit war.“ Michael Jung drückt sie besonders die Daumen, denn sein 16-jähriger Sam sei ihr ans Herz gewachsen.

Natürlich gehe ihr Blick auf die erst elfjährige Stute Weihegold unter Isbell Werth, „denn Isabell hat hier in Rio die Chance, zur erfolgreichsten Dressurreiterin aller Zeiten bei Olympia zu werden“. Na und dann, nicht zu vergessen, Ludger Beerbaum und seine siebten Olympischen Spiele: „Ich bin froh, dass wir Ende 2015 den Holsteiner Casello kaufen konnten, so hatte Ludger zwei Optionen. Jetzt geht Casello.“ Der Preis für diesen Fuchs dürfte gut und gerne im siebenstelligen Bereich liegen. Näheres ist von seiner Besitzerin nicht zu erfahren. Über Summen spricht sie nicht.

Eigentum verpflichtet. Diesem Credo aus dem Grundgesetz folgt Madeleine Winter-Schulze seit langem ohne viel Aufhebens: „Die Eduard-Winter-Stiftung in Berlin, benannt nach meinem Vater, hilft sozial benachteiligten Jugendlichen“, sagt sie mit aller Sachlichkeit. Typisch für diese Frau, die im Grunde ihres Herzens den Menschen noch tiefer zugetan ist als ihren Pferden, ist folgende Episode: Vor Jahren schrieb ihr ein junges Mädchen einen Brief mit der kühnen Bitte, ihr doch ein Pferd zum Reiten zu geben, die Eltern könnten ihr ja keines kaufen. Was tat Madeleine Winter-Schulze?:

„Ich lud sie zu mir ein, ließ sie vorreiten, um zu sehen was sie kann – und gab ihr eines unserer Pferde mit nach Hause. Sie hat mich nicht enttäuscht.“