Isabell Werth führt das deutsche Quartett zum 13. Olympiasieg seit 1928. Die 47-jährige ist jetzt mit sechs Siegen die erfolgreichste Reiterin der olympischen Historie vor Reiner Klimke und Hans Günter Winkler.

Tränen der Freude und Tränen der Wut – bei Isabell Werth liegen sie nahe beieinander. Höhen und Tiefen wie kein anderer Weltklassereiter hat die 47-jährige „Dressurkönigin“ aus Rheinberg am Niederrhein erlebt. Seit 1989 reitet die Tochter des Landwirts und Pferdezüchters Heinrich Werth vom Winterswicker Feld auf höchstem Niveau, hat zwei Dutzend Pferde ausgebildet, auf das olympische Niveau geführt – so viele wie niemand sonst. Man sagt ihr Nerven nach wie Drahtseine und einen Kampfgeist ohne Ende.

Gestern Nachmittag, 16 Uhr Ortszeit Rio, war die Mutter des siebenjährigen Frederick in Tränen aufgelöst – ein magischer Moment für diese rheinische Frohnatur. Immer wieder umarmte sie ihre Freundin und Mäzenin Madeleine Winter-Schulze, ihre Teamkameraden, ihre Bundestrainerin, sagte im Wechselbad zwischen Schluchzen, Lachen und nach Luft schnappen: „Was wir heute geschafft haben, mit dieser neuen Truppe, mit diesen jungen Pferden – wer hätte uns das zugetraut? Ich bin so stolz auf uns, auf unsere Pferde.

Ich kann es noch gar nicht fassen. Mein Pferd hat heute sogar den Tagessieg erkämpft vor Charlotte Dujardin mit Valegro – ein toller Tag für mich.“ Alles in allem ein souveräner Sieg des deutschen Quartetts gegen Briten, Amerikaner und Niederländer, die ohne Chance waren, diesen deutschen Triumpf zu verhindern. So ist die Revanche gegen die vor vier Jahren in London siegreichen Briten eindrucksvoll geglückt, das US-Team sicherte sich die Bronzemedaille – alles leider vor nur wenigen tausend Besuchern.

Am 1. August war die weltbeste Ausbilderin von vierbeinigen Tänzern auf dem 60 mal 40 Meter großen „Sandkasten“ in Rio angereist, auf ihrem Erfolgskonto acht olympische Medaillen: fünfmal Gold und dreimal Silber! Herausragend dabei das Einzelgold von Atlanta 1996 auf Gigolo, dazu viermal Teamgold: 1992 in Barcelona, 1996 in Atlanta, 2000 in Sydney, 2008 in Hongkong.

Fast ein Vierteljahrhundert nach ihrem olympischen Debüt 1992 in Barcelona, wo sie ihr erstes Teamgold gewann, übrigens gemeinsam mit der heutigen Bundestrainerin Monica Theodorescu, dominierte das deutsche Quartett, angeführt von „unserer Mutti“, wie man sie im deutschen Tross nennt, wie lange nicht mehr: Der Debütant Sönke Rothenberger aus Bad Homburg, 21 Jahre jung, Sohn von Eltern, die 1996 in Atlanta Dressursilber für die Niederlande holten – er steigerte sich mit seinem erst neunjährigen Niederländer Cosmo durch sichere Runden:

„Ich bin überwältigt“, sagte der BWL-Student, „dass ich von meinen ersten Spielen mit Gold nach Hause komme. Alle Welt weiß jetzt, was mein Cosmo für ein tolles Pferd ist.“

Bundestrainerin Monica Theodorescu, seit 2012 im Amt, strahlte: „Ich habe gewusst, dass wir die Chance auf Gold haben, aber die musst du ja erst einmal wahrnehmen. So etwas kann in unserem Sport mit den Pferden schnell daneben gehen.“ Überzeugend agierte auch die 47-jährige Berufsreiterin Dorothee Schneider aus dem pfälzischen Framersheim.

Vor vier Jahren mit der Stute Diva Royal im Silberteam von London, hat sie es geschafft, den hocheleganten, aber schwierig zu reitenden Hannoveraner Showtime an die Weltspitze zu führen, sich für das Team um Isabell Werth unverzichtbar zu machen. Schneider sagte: „Mein Pferd ist sensibel, lässt sich leicht ablenken, gerade wenn ihm die Umgebung unbekannt ist. Hier war er ständig bei mir, ganz fokussiert auf unsere Arbeit. Ein großartiges Pferd.“

Von der Bundestrainerin persönlich betreut, hat sich auch die 29-jährige Kristina Bröring-Sprehe aus dem oldenburgischen Dinklage enorm verbessert: Ihr 14-jähriger Zuchthengst Desperados, eine rabenschwarze Schönheit, besitzt das Potential, am Montag, wenn es in der Kür um die Einzelmedaillen geht, der hohen Favoritin Charlotte Dujardin aus London auf Valegro den erneuten Gewinn der Goldmedaille streitig zu machen. Sie sagte nach dem Triumpf: „Der druck war schon enorm, das muss ich zugeben, wenn man so nah vor dem Gewinn seiner ersten Goldmedaille steht.“

Für Isabell Werth ist ihre sechste Goldmedaille der Lohn für herausragende Trainingsarbeit: „Wenn ich bedenke, dass Bella Rose und Don Johnson ausgefallen sind, und dass Weihegold mit ihren elf Jahren fast noch ein Greenhorn ist – und heute das! Wir sind ein tolles Team, haben zu recht gewonnen.

Jetzt blicken wir nach vorn, wollen schauen, was noch drin liegt. Ich bin mit meinem Ehrgeiz noch längst nicht am Ende.“ Soll heißen: Am Montag in der Kür, wo nur die drei besten Reiter jedes Teams starten dürfen, wollen Werth, Schneider und Bröring-Sprehe der britischen Favoritin Charlotte Dujardin mächtig einheizen, auf alle Fälle weitere Medaillen holen.

Dabei ist dieses sechste olympische Gold für Isabell Werth bereits ein dickes Ausrufungszeichen im Geschichtsbuch des Sports: Mit sechsmal Gold und zweimal Bronze stand bis dato der 1999 verstorbene Münsteraner Reiner Klimke als die Nummer eins an der Spitze des olympischen Medaillenspiegels aller Reiter.

Jetzt ist es Isabell Werth mit sechsmal Gold und dreimal Silber. Hans Günter Winkler, die Reiterlegende, gerade erst 90 geworden, belegt mit fünfmal Gold, einmal Silber und einmal Bronze den dritten Platz. Ludger Beerbaum und Nicole Uphoff liegen mit jeweils viermal Gold auf Platz vier. Wo das olympische Gold glänzt, gibt’s auch Rückschläge und Schattenseiten: 2009 musste Werth eine sechsmonatige Sperre wegen Dopings hinnehmen. Ihr Nachwuchspferd Whisper war im Rahmenprogramm des Pfingstturniers von Wiesbaden positiv getestet worden – ein dummes Versehen im Stallmanagement, das nicht hätte passieren dürfen.

2013 gab’s ähnliche Probleme bei ihrem El Santo; immerhin konnte sie nach monatelangem Hickhack durch Gutachter plausibel nachweisen, dass Medikamentenreste aus der Tränke von El Santos Stallnachbarn Hannes zum später positiv getesteten Pferd hinüber gelangt waren. Beide Fälle haben Werths Verhältnis zum Reiterverband in Warendorf zerrüttet: „Wenn du glänzt, Titel und Medaillen holst, bist du überall lieb‘ Kind. Wenn du Probleme hast, lassen sie dich fallen, stehst du Mutterseelen allein.“ Auch diese Erfahrungen haben die lebenslustige Rheinländerin geprägt.

Am Ende der Blick in die Annalen der olympischen Dressur. 1912 gab es den ersten Einzelwettkampf, 1928 wurde die Mannschaftswertung eingeführt. Der deutsche Triumpf von gestern war ausgerechnet der 13. Sieg für eine deutsche Equipe, die früher von Namen geprägt wurde wie Reiner Klimke, Josef Neckermann, Harry Boldt oder Liselott Linsenhoff. Im Kürfinale am Montag geht es für die punktbesten 18 Reiter wieder bei null los.

Der Wettkampf der Springreiter beginnt morgen, am Sonntag, mit der ersten Qualifikation. Ludger Beerbaum sagte gestern: „Es ist toll, wie unsere Kollegen vorgelegt haben. Einen Reiter wie Michael Jung habe ich in meiner langen Karriere noch nie gesehen. Wir müssen uns Mühe geben. Es wird Zeit, dass es endlich losgeht.“