Im historischen Greenwich Park werden die Medaillen vergeben für Springen, Dressur und Vielseitigkeit. Kommt sie oder kommt sie nicht? So lautet in diesen Tagen die Frage aller Fragen.

Gemeint ist damit keineswegs die Sonne, die man seit Wochen kaum gesehen hat über der Olympiastadt von 2012, gemeint ist die Queen höchstpersönlich. Denn am kommenden Montag, 30. Juli, pünktlich um 12.30 Uhr, beginnt im Greenwich Park, zehn Kilometer Luftlinie entfernt vom Buckingham Palast, der Geländeritt in der olympischen Vielseitigkeit.

Und Zara Philips, von der man sagt, sie sei die Lieblingsenkelin der Königin, zählt erstmals zum britischen Olympiateam. Zehntausende von Fans, allen voran ihre so reitsportkundige Großmutter, erwarten von ihrer Mannschaft nichts anderes als Gold. Es müsste doch, so sagen die pferdeverrückten Briten, mit dem Teufel zugehen, wenn es nicht gelänge, die vermaledeiten deutschen Buschreiter mit dem stets lächelnden Schwaben Michael Jung an der Spitze in die Schranken zu weisen, gerade auf eigenem, historischem Geläuf.

Zara Philips Mutter, Prinzessin Anne, so wird kolportiert, wäre es lieber gewesen, alle Reitsportdisziplinen, in denen die Gastgeber diesmal zum engsten Kreis der Favoriten zählen, hätten auf dem traditionsreichen Turnierplatz vor dem familieneigenen Schloss Windsor stattgefunden – der Heimvorteil wäre vor allem den Royals zu Gute gekommen. Doch Prinzessin Anne, 1971 selbst Europameisterin in der Vielseitigkeit, ist mit diesem Kunstgriff gescheitert.

Nun also treffen sich die besten Reiter der Welt im Greenwich Park, unweit der Themse, 73 Hektar groß, ebenfalls im Besitz der Krone, dazuhin Teil des Weltkulturerbes, denn am unteren Rand des hängigen Geländes liegen das berühmte Schifffahrtsmuseum und das weltbekannte Observatorium, das zugleich den Null-Grad-Meridian kennzeichnet, die Grenze zwischen der westlichen und der östlichen Hemisphäre.

Vor genau einem Jahr, als Michael Jung und andere Spitzenreiter zum vorolympischen Testevent durch den Greenwich Park galoppierten, mussten sie unliebsame Bekanntschaft machen mit den verärgerten Anwohnern des beliebten Erholungsgebietes. Queen hin, Zara Philips her – die Schmähungen und Proteste, Transparente und Sprechchöre waren eindeutig: Raus mit dem olympischen Sport! Nur Beharrlichkeit, Kompromisse und kluge Diplomatie haben es vermocht, die Bürger zum Einlenken zu bewegen.

Der Preis dafür liegt allerdings atemberaubend hoch: 50 Millionen Euro, in Worten fünfzig Millionen – diese astronomische Summe verschlingt das Reitevent zwischen den geschützten Bäumen und Büschen, seltenen Pflanzen, Spielplätzen, Bootsseen und einem kleinen Zoo. Der Park ist für die Londoner nun mal ein Kleinod im Südosten in der Millionenstadt.

Wofür nun das ganze Geld, wo es doch beim olympischen Reitturnier keinen Cent zu gewinnen gibt? Seit dem Sommer 2011 staunen die Besucher über eine bauliche Sensation, einmalig in der olympischen Geschichte und deshalb auch so einmalig teuer: Das gesamte Reitstadion mit mehr als 20 000 Sitzplätzen, die Trainingsareale, der Stalltrakt für bis zu zweihundert Pferde, das Pressezentrum und sämtliche Verpflegungszelte – alles ruht, man höre und staune, auf 2600 hydraulisch verstellbaren Säulen!

Mit ihrer Hilfe gleicht man, erstens, das total hügelige Gelände aus, um ebene Reitflächen zu gewinnen, und schützt auf diese Weise, zweitens, den heiligen Rasen, dem praktisch kein Grashalm gekrümmt werden darf. Als Michael Jung, der Favorit auf das Einzelgold im Dreikampf aus Dressur, Geländeritt und Springen, diese seltsame Konstruktion zum ersten Male sah, hielt er sie spontan mit seiner Handykamera fest und zeigte sie, wieder heimgekehrt, allen, die nicht glauben wollten, dass es so etwas überhaupt gibt. Sein Fazit damals:

„Unglaublich, was man technisch machen kann. Der Blick vom Greenwich Park auf die Themse und die Skyline von London – einfach atemberaubend.“

Gleichwohl, die britischen Pferdefreunde sind immer noch stinksauer. Rund 150 000 Karten, so teilte das Organisationskomitee der Spiele mit, hätten allein für den Tag des Geländeritts am kommenden Montag verkauft werden können. Denn im Mutterland der Military, so hieß der Wettkampf früher, rangiert der Pferdesport, anders als in Deutschland, gleich hinter Fußball, Kricket und Rugby. Ist es da, so darf man fragen, ein Zufall, dass Zara Philips mit dem Rugbystar Mike Tindall verheiratet ist?

Doch der Greenwich Park ist zu klein und zu wertvoll – „nur“ 50 000 Menschen dürfen am Montag hinein, um Zara Philips, Michael Jung und womöglich die Queen leibhaftig zu sehen. Der Versuch, das Kontingent wenigstens auf 65 000 Eintrittskarten zu erweitern, wurde vor wenigen Wochen abgebrochen – die Anwohner waren’s zufrieden. Sie haben auch durchgesetzt, dass der Geländeparcours mit seinen mehr als vierzig beweglichen Hindernissen sofort wieder abgebaut wird, wenn das letzte der voraussichtlich 75 Pferde am späten Montagnachmittag über die Ziellinie des 5700 Meter langen Kurses galoppiert ist. Der seit Wochen gesperrte Park muss spätestens am 4. August – das Reitstadion auf seinen Säulen natürlich ausgenommen – der Öffentlichkeit zurückgegeben werden.

Und was passiert, wenn es in London weiter regnet und regnet? Der frühere Bundestrainer der Buschreiter, Martin Plewa aus Münster, bei Olympia als sogenannter Technischer Delegierter mitverantwortlich für den Geländeritt, berichtete erst kürzlich: „Der Boden im Greenwich Park ist trotz des Regens in bestem Zustand, die Hindernisse sehen sehr gut aus, aber die Details des Kurses bleiben geheim.“ Klar ist indessen, dass die 50 000 Besucher den spannenden Wettkampf auf mehreren, im Park verteilten Videowänden live mitverfolgen können. Hunderte freiwilliger Helfer sorgen für Ordnung. Jetzt fehlt nur noch eines, die Antwort nämlich auf die Frage aller Fragen: Kommt die Queen oder kommt sie nicht?