So ist das mit diesen olympischen Spielen 2020 in Tokio: Wir kritteln und lamentieren, wir haben uns fürs Wegbleiben entschieden, obwohl wir gerne dabei wären, wir schütteln den Kopf über den japanischen Kontrollwahn, von dem wir überall hören und lesen, wir hängen (wie erwartet) am Laptop und am Fernsehapparat – und wenn dann drei Portugiesen, Rodrigo Torres, Jao Miguel Torrao und Mria Caetano mit ihren Lusitanos, den Einzug ins Teamfinale schaffen, dann ist er plötzlich da, der olympische Spirit! Rodrigo Torres schafft, wovon er geträumt hat, und ich freue mich mit ihm: 72,624 Prozent.

Das ist der Einzug ins Kürfinale am Mittwoch. Großartig! Dickes Kompliment!

Aber wie das so ist bei olympischen Spielen und überhaupt in unserem Sport mit den Pferden. Rodrigo Torres ist für mich der Gewinner des Grand Prix, aber es gibt leider auch die Verlierer dieser ersten Dressurtage von Tokio. Den sympathischen Jan Bemelmans aus Krefeld, mit dem ich Ende der sechziger Jahre bei Reitmeister Robert Schmidtke in Hilden am Ohligser Weg Bereiter gelernt habe, hat das Glück des erfolgreichen Nationaltrainers verlassen: Knapp 30 Punkte haben gefehlt, um den Grand Prix Spezial morgen zu erreichen.

Kein Franzose im Kürfinale. Drei knappe Jahre vor den nächsten olympischen Spielen in Paris solch eine bittere Niederlage. Morgan Barbacons Sir Donnerhall springt an im ersten starken Trab, Maxime Collard verpatzt auf ihrem Cupido die Einer-Wechsel komplett. Schade, aber so ist der Sport. Zugleich noch dies: Sabine Schut-Kerry aus den USA, eine frühere Schülerin von Jan Bemelmans, zieht mit ihrem Sanceo und 78,416 ins Kürfinale ein – verrückter Sport!

Heute, an diesem Ruhetag, steigt die Spannung rund ums Viereck von Tokio. Und wer nur die deutsche Brille auf der Nase trägt, der fühlt sich ganz sicher, ja felsenfest sicher in seiner Prognose wie es morgen ausgeht: Gold, nix anderes als Gold! Gemach, gemach – Leute, bleibt bescheiden und demütig. Wer weiß, was alles passieren kann. Denken wir an Charlotte Dujardin und ihren Frestyle bei der EM vor zwei Jahren in Rotterdam: Nur ein wenig zu viel mit dem Sporen – kleine Wunde, hauchdünn Blut am schneeweißen Handschuh des Stewards und aus der Traum. Etwas ähnliches passierte in Tokio der jungen Caroline Chew: ihr Fuchs Tribiani hatte plötzlich etwas Blut am Maul – abgeläutet!

Beschreien wir’s nicht. Jessica von Bredow-Werndl, Dorothee Schneider und Isabell Werth sind das hoch favorisierte Trio auf die 14. Goldmedaille deutscher Dressurequipen. Dalera hat mit den hoch verdienten 84,379 Prozent ein starkes Zeichen gesetzt! Dorothee Schneider und ihr Showtime mussten den Patzer in der Linkspirouette teuer bezahlen. Und Isabell Werth zeigte mit ihrer Bella Rose einen Sicherheitsritt mit angezogener Handbremse. Das deutsche Team hat 7911,5 Punkte erritten, die Briten 7508,5, die Dänen 7435,0. Früher, als Grand Prix und Spezial zusammen gewertet wurden, wäre das Mannschaftsgold so gut wie sicher gewesen.

Morgen aber geht’s wieder bei null los. Die Analyse über Sinn oder Unsinn der neuen olympischen Regeln, etwa den Wegfall des Streichresultats, heben wir uns auf, bis die olympische Dressur abgeschlossen ist. (Denken wir an dieser Stelle an Österreicher: Mit nur drei Pferden nach Tokio gereist, dann der Ausfall von Abegglen NRW, das Aus für Viktoria Max-Theurer. Sagen wir’s knallhart: Falsche Taktik, gespart an der falschen Stelle, seit langem Unruhe im heimischen Dressurlager – eine bittere Quittung!)

Morgen und übermorgen – zwei historische Tage für den olympischen Dressursport. Drücken wir die Daumen und freuen wir uns über den sportlichen Nervenkitzel.