Der britische Haudegen Nick Skelton holt sich mit 58 Jahren das Einzelgold von Rio – Meredith Michaels-Beerbaum stürzt um Haaresbreite – Ahlmann und Deusser nur auf Rang neun.
Ginge es nach den Ärzten von Nick Skelton, dann würde der Mann mit der Figur eines Preisboxers nur noch zu Fuß gehen. Denn vor Jahren stürzte der ausgebuffte Reitprofi schwer, brach sich das Genick, lag monatelang im Krankenhaus. Zwei Jahre dauerte die Pause, dann stieg er wieder in den Sattel – auf eigene Gefahr, die Ärzte hatten ihn gewarnt. Aber Nick hatte gar keine andere Wahl:
„Ich hab doch nix anderes gelernt als das Reiten!“
Bereits 1977 fragte dieser damals völlig unbekannte Engländer per Telefon in Donaueschingen an, ob er wohl an diesem Traditionsturnier teilnehmen dürfe – er durfte. Längst ist Nick eine lebende Legende, zumal in seiner Heimat. Gestern feierte der 58-Jährige Haudegen, ältester Reiter im Stechen um die Medaillen, den größten Triumpf seiner Karriere: „Ich bin sprachlos. Vor vier Jahren das Teamgold in London, heute das Einzelgold für mich. Das ist der größte Tag in meinem Leben.“
Als das „Good save the Queen“ erklang, weinte dieser vermeintlich so knallharte Profi einfach drauflos. Skelton ritt den 13-jährigen niederländischen Hengst Big Star, der nach langer Verletzungspause rechtzeitig wieder fit war. Die Silbermedaille im Stechen von sechs Reitern um die drei Medaillen sicherte sich der schwedische Profi Peder Fredericson, Geheimtipp für alle Insider, mit seinem Superpferd All In. Bronze ging an den haushohen Favoriten Eric Lamaze, Olympiasieger von Hongkong 2008, auf der Hannoverschen Stute Fine Lady.
Bereits zur Halbzeit dieses am Ende hoch dramatischen Kampfes um die Medaillen, bot das Trio von Bundestrainer Otto Becker ein kurioses Bild: Meredith Michaels-Beerbaum, mit höchsten Ambitionen gestartet, leistete sich am allerersten Sprung einen geradezu gefährlichen Blackout: „Ich wollte heute einfach zu viel, es war ganz klar mein Fehler. Ich wusste, dass ich mir keinen Zeitfehler leisten darf, um die zweite Runde aussichtsreich zu erreichen.“
Vor lauter Konzentration ging die sichere Verbindung zwischen Pferd und Reiterin verloren, Fibonacci bekam wenige Meter vor dem Oxer nur unklare Impulse, sprang viel zu früh ab – rumpelte mit allen vier Beinen mitten in das Hindernis, das normalerweise kein Problem für dieses schwedische Klassepferd darstellt.
Einerseits enttäuscht, andererseits erleichtert, sagte die Mitfavoritin später: „Mein Pferd ist unverletzt, das ist die Hauptsache. Nach dem Rumpler, der schlimmer hätte ausgehen können, habe ich sofort entschieden, nur noch das zweite Hindernis zu nehmen – und dann aufzuhören.“ Die 15 000 Zuschauer im fast ausverkauften Stadion von Deodoro quittierten die Aufgabe von „MMB“ mit kräftigem Applaus für ihre Demonstration der Fairness gegenüber ihrem Pferd.
Ganz anders Christian Ahlmann auf seinem 16-jährigen Taloubet Z aus dem belgischen Gestüt Zangersheide, das sein 2015 verstorbener Schwiegervater Leon vor langen Jahren gegründet hat. „Mein Pferd ist topfit, springt vom Feinsten – ich hoffe, dass das in der zweiten Runde so bleibt. Die äußeren Bedingungen hier, vor allem das Geläuf, sind optimal – kein Wunder, dass wir jetzt 13 Pferde ohne Fehler haben, 27 erreichen die zweite Runde. Ich gehe mal davor aus, dass in einem Stechen über die Medaillen entschieden wird.“
Ebenso Daniel Deusser, der für den belgischen Handelsstall Stephex Stables reitet: „Ich bin happy mit meinem Pferd, denn das war ein schwerer Parcours. In der zweiten Runde kommt gewiss noch mal eine Schippe drauf.“ Sein Belgischer Wallach First Class, erst elf Jahre alt, stammt übrigens von dem weltberühmten Fuchshengst Baloubet de Ruet ab, mit dem Vater und Sohn Pessoa spektakuläre Sporterfolge gefeiert haben.
Doch die Träume von Ahlmann und Deusser zerplatzten im zweiten Umlauf relativ rasch, weil beide Pferde leicht müde wirkten, jeweils einen Abwurf hinnehmen mussten – Flüchtigkeitsfehler, die sich einschleichen, wenn die Kräfte der Pferde nachlassen. Deusser und Ahlmann beendeten Olympia gemeinsam auf Rang neun. Am Ende zeigte sich Bundestrainer Otto Becker gleichwohl zufrieden: „Heute wäre definitiv mehr drin gewesen, umso ärgerlicher die beiden Fehler im zweiten Parcours. Meredith hatte Pech, auch die Abwürfe von Taloubet und First Class waren vermeidbar.
Aber wir fahren mit einer Bronzemedaille heim und werden Mitte September beim Finale um den Nationscup in Barcelona wieder angreifen – dort möchten wir Ludger Beerbaum einen guten Abschied aus der Nationalequipe bieten.“ Auf die Frage, wie er den Rücktritt von Ludger Beerbaum aus der Nationalequipe bewerte – Becker war plötzlich den Tränen nahe: „Ich sehe das mit Wehmut, wir sind einen so langen Weg gemeinsam gegangen. Hier in Rio verdanken wir ihm den Einzug ins Stechen gegen die Kanadier und damit die Bronzemedaille.“