Der 52-jährige Altmeister der Springreiter bestreitet seine siebten Spiele – es werden seine letzten sein. Zum Karriereende kämpft er mit dem Fuchs Casello um seine fünfte Medaille.

Wenn man Ludger Beerbaum einen „Altmeister im Springsattel“ nennt, trägt er dieses Prädikat mit Fassung, ja mit Gelassenheit und einem Schmunzeln. Kein Wunder, denn auf der olympischen Startliste seiner siebten Spiele ist der reitende Geschäftsmann aus dem westfälischen Riesenbeck beileibe nicht der Älteste: Der legendäre John Whitaker, Beerbaums großes Vorbild, ist 61 Jahre alt, dessen Bruder Michael 58, ebenso deren Teamkamerad Nick Skelton, der 2012 im Greenwich Park Gold gewann mit dem Team.

Auch Skelton, der vor Jahren schwer stürzte, sich das Genick brach, jahrelang nicht reiten durfte und nur auf eigenes Risiko wieder in den Sattel steigt – auch dieser knorrige Haudegen bestreitet in Rio seine siebten Spiele.

Eines freilich hat Ludger Beerbaum, der einst sein BWL-Studium sausen ließ, um Profireiter zu werden, seinen Konkurrenten voraus: viermal Gold! 1988 in Seoul musste sich der Debütant binnen weniger Stunden auf das deutsche Reservepferd Freak einstellen, weil seines plötzlich nicht mehr fit war. „Ich legte meinen Sattel auf, setzte mich ganz unbekümmert auf das mir kaum Pferd – am Ende hatten wir die Gold“, so schilderte er es später lapidar, gerade so, als wüsste er nicht mehr, dass dieses Gold seiner Reitkunst zu verdanken war.

1992 in Barcelona lief es für den Eins-neunzig-Mann noch dramatischer. Mitten im Parcours zum Nationenpreis riss das Zaumzeug seiner Holsteiner Stute Classic Touch, die sofort in Panik geriet und unkontrolliert davonstürmte – ihrem Reiter blieb nichts anderes, als im vollen Galopp abzuspringen. Er stürzte unsanft in den Sand, rappelte sich auf, völlig verdreckt und mit blauen Flecken. Tage später im Einzelfinale brillierte der Mann ohne Nerven, siegte locker und gewann das Einzelgold! Seine coole Bilanz: „Das war der Höhepunkt meiner Karriere!“

Nimmt man das Jahr 1988 als Beginn seiner Weltkarriere, so reitet der mehrfache Familienvater seit annähernd 30 Jahren an der Spitze seines Sports. 1996 bei den Spielen von Atlanta gab’s für ihn und Ratina Z wieder Mannschafts-Gold, ebenso 2000 in Sydney, wo er den Fuchshengst Goldfever ritt und Otto Becker, heute der Bundestrainer. 2004 kürte der DOSB den Sattelkünstler, den seine Freunde gerne „Professor“ nennen, weil er alle Parcours bis ins kleinste Detail hinein wortreich analysiert, zum Fahnenträger für Deutschland.

„Das hat mich berührt, war eine hohe Ehre für mich.“

Tage später das Desaster: Im Parcours erkämpfte sich das deutsche Quartett, zu dem noch Christian Ahlmann, Otto Becker und Marco Kutscher zählten, wieder das Mannschaftsgold – doch der Erfolg wurde ihnen jäh aberkannt: Beerbaums Goldfever war von seiner Pflegerin Marie Johnson mit einer kortisonhaltigen Salbe behandelt worden, was als Doping galt, obschon es die Leistung des Hengstes in keiner Weise beeinflusste.

Beerbaum sagte später: „Es war eine Mischung aus Dummheit und Sorglosigkeit.“ Er übernahm die Verantwortung für das Fiasko, wobei zu erwähnen bleibt, das die fragliche Salbe inzwischen als erlaubt eingestuft ist, mehr noch: Wer notwendige Behandlungen seines Pferdes der Jury anzeigt, kann mit der Genehmigung rechnen. Man hat die Regeln der Realität angepasst.

Doch 2008, als man die Reiterspiele aus praktischen Gründen nicht in Peking abhielt, sondern auf die Galopprennbahn von Shathin in Hongkong verlegte, verhielten sich die deutschen Springreiter wieder nicht regelkonform: Christian Ahlmanns Taloubet wurde mit dem verbotenen Einreibemittel Capsaicin behandelt, Marco Kutschers kapitaler Hengst Cornet Obolensky kollabierte unter bis heute nicht restlos aufgeklärten Umständen in seiner Stallbox.

Von den Medaillen war man weit entfernt, einzig Meredith Michaels-Beerbaum, die jetzt ins Team nachgerückt ist, galoppierte nur knapp an Bronze vorbei. Auch 2012 in London, wo Otto Becker erstmals als Bundestrainer Verantwortung trug, ritten seine Mannen glücklos.

Dieser Tage in Rio, wo heute, am Mittwoch, der Preis der Nationen entschieden wird und es um die Medaillen geht, mag niemand in der deutschen Equipe an Athen, Hongkong oder London erinnert werden. „Nein“, sagt Otto Becker, „wir schauen nach vorn. Unser Ziel ist eine Medaille, ganz klar. Das muss unser Anspruch sein, selbst wenn es schwer wird gegen die Amerikaner, die Franzosen und die Niederländer.“

Und Ludger Beerbaum? Über die letzten Jahre hat er sich mit der Schimmelstute Chiara penibel, wie es seine Art ist, auf Olympia 2016 vorbereitet, wohl wissend, „dass das wohl meine letzten sein werden“. Seine Holsteinerin vermochte nicht restlos zu überzeugen, also sicherte sich ihr Reiter mit Hilfe seiner Mäzenin Madeleine Winter-Schulze quasi in letzter Minute „meine zweite Option“, wie er es nennt: Kurz nach dem German Masters 2015 in der Schleyerhalle wurde der 13-jährige Holsteiner Casello gekauft, bis dato unter dem Schweden Douglas Lindelöw erfolgreich.

Wichtig zu wissen: Pferde, die bei Olympia starten, müssen spätestens am 15. Januar des olympischen Jahres im Besitz des Landes stehen, für das sie starten sollen. Auf diese Weise wird vermieden, dass die Profis mit den millionenschweren Gönnern im Rücken sich bis kurz vor den Spielen die Cracks gegenseitig unter dem Hintern wegkaufen.

Am Ende darf spekuliert werden: Wird Ludger Beerbaum, wenn’s denn eine Medaille für ihn gibt, spontan seinen Rücktritt vom großen Sport erklären? Oder werden wir ihn etwa Mitte November in der Schleyerhalle noch einmal sehen? Wie auch immer, aus dem einstigen Jungtalent ist ein reitender Geschäftsmann geworden: Inhaber einer weltweit renommierten Hengststation und eines Reitzentrums in Riesenbeck bei Münster, international aktiver Pferdehändler, dazu beteiligt an einer Firma in China, die den Reitsport im Reich der Mitte forciert.

Nicht zuletzt ziert sein Name „Ludgers P.“ eine neue Kollektion von Pferdefutter. Der Name Beerbaum ist eine renommierte Marke, das Multitalent ist ständig auf Achse, räumt mit schlechtem Gewissen gegenüber seiner Familie ein: „Ich hab‘ seit Jahren keinen Urlaub gemacht.“ Auch seine aufwendige Tour zu den Spielen nach Rio ist keine Ferienreise.