Der japanische Reiter Hiroshi Hoketsu startet in London als ältester Teilnehmer. Tokio 1964. Die deutschen Springreiter HG Winkler, Hermann Schridde und Kurt Jarasinski holen, heftig umjubelt, die Goldmedaille.

Von den noch spärlichen vertretenen Medien kaum beachtet, belegt der erst 23-jährige Japaner Hiroshi Hoketsu auf seinem Wallach Raro den 40. Platz im olympischen Einzelspringen. Die reitenden Gastgeber dieser Spiele gelten als brave Exoten, chancenlos gegen die Übermacht der Europäer und Nordamerikaner im internationalen Pferdesport.

Derselbe Hiroshi Hoketsu, heute 71 Jahre alt, sagt in der Rückschau: „Das Reiten hat Tradition in meiner Familie. Schon mein Vater war ein Turnierreiter, obwohl dieser Sport bei uns nie so populär gewesen ist wie etwa hier in Deutschland.“ Nun rüstet sich Hoketsu für seine dritten olympischen Spiele, doch Illusionen macht er sich nicht:

„Das große Medieninteresse an mir hat doch nur mit meinem Alter zu tun. Für mich persönlich aber sind das Reiten, der tägliche Umgang mit meinen Pferden, zum Lebensinhalt geworden.“

Dazu lächelt er freundlich, wohl ahnend, dass seinem Gegenüber die Frage auf der Zunge liegt, weshalb sich ein Amateur in wahrhaft fortgeschrittenem Alter den Auftritt auf der allergrößten Bühne des Sports antut, obwohl er doch weiß, dass er am Ende unter „ferner liefen“ bleiben wird. In Hongkong 2008 war er 35. von 45 Konkurrenten. Sein Pferd hatte gescheut, als es sich plötzlich auf einer riesengroßen, grellbunt leuchtenden Videoleinwand im Stadion sah. Es blieb bei diesem einen Wettkampf – die nächsten zwei Runden erreichten die beiden nicht.

Doch dieser kritische Maßstab ist dem sportlichen Senior, der mit einer jungen Landsfrau zusammenlebt, völlig fremd. Im Sattel, so scheint es, erfüllt er sich seinen Traum von der Harmonie zwischen Mensch und Kreatur. Darauf hat er lange hingearbeitet: „Nach den Spielen von 1964 habe ich in Tokio und den USA studiert, wurde Mitarbeiter und später Direktor der Ortho Diagnostic, einer japanischen Tochter des US-Weltkonzerns Johnson & Johnson.“

Trotz dieser steilen Managerkarriere, so sagt Hoketsu nicht ohne Stolz, habe er seine Passion zu den Pferden nie aufgegeben. „Als ich Anfang vierzig war, hat leider meine Sehkraft nachgelassen, ich konnte die Distanzen zwischen den Hindernissen nicht mehr abschätzen – da habe ich umgesattelt zur Dressur.“ Ja, mehr noch: „2003 bin ich in Pension gegangen und gleich nach Deutschland übergesiedelt, denn hier liegt das Zentrum unseres Sports.“

2006 hatte Hiroshi Hoketsu eine quasi schicksalhafte Begegnung. Auf dem Hof Rossheide in Aachen begegnete er dem international renommierten Trainer und Ausbilder Ton de Ridder. Der sagte jetzt in der Aachener Soers: „Wir haben damals für Hiroshi ein gutes Pferd gesucht und sind bei Andrea Schöler im südbadischen Schopfheim fündig geworden.“ Seitdem geht die nun 15-jährige Württemberger Stute Whisper unter Hoketsu auf internationalem Terrain. Bei der WM vor zwei Jahren in den USA schafften beide den Einzug in die zweite Runde und den 31. Platz. Der erfahrene Trainer lobt seinen Schüler:

„Hiroshi ist bescheiden und ungemein diszipliniert, er weiß, dass er sich in seinem Alter besonders fit halten muss. Er treibt Ausgleichssport, hat kein Gramm zu viel Gewicht, sitzt geschmeidig im Sattel – blamiert hat er sich noch nie.“

Er sei, so sagt Hiroshi Hoketsu in aller Sachlichkeit, nun mal der beste Dressurreiter Japans, also fühle er sich als Vorbild für die reitende Jugend seines Landes. So habe er vor vier Jahren in Hongkong geritten, nun werde er in London antreten. Wenn es das Schicksal gut mit ihm meine, er sich weiterhin fit halte durch tägliche Gymnastik und tägliches Training seiner drei Pferde, dann werde er womöglich in vier Jahren in Rio ins Guinnesbuch der Rekorde reiten: als ältester Olympionike aller Zeiten.

Das ist bis dato der schwedische Schütze Oscar Swahn, der anno 1920 in Stockholm die Silbermedaille gewann – im zarten Alter von 72 Jahren. Fotos von damals zeigen Swahn in Hut und Mantel, seine Büchse im Anschlag. Hiroshi Hoketsu indessen ist, fast einhundert Jahre später, ein Weltbürger, für den gleichwohl das alte, mitunter verspottete olympische Motto noch gilt: Dabeisein ist alles.