Sir Mark Todd aus Neuseeland steht vor seinen siebten Spielen – eine lebende Legende im Sattel.

Am 30. Juli 2012 sitzt der Neuseeländer Mark Todd vor der Weltpresse im Greenwich Park von London, hebt die Bronzemedaille, die er um den Hals hängen hat, ins Blitzlichtgewitter und sagt mit ungläubigem Staunen: „Vor 28 Jahren hab‘ ich meine letzte olympische Medaille gewonnen und jetzt sitze ich hier vor euch – ich fasse es nicht!“

Dann kommt die naheliegende Frage, ob er nun, immerhin schon 56 Jahre alt, seine Karriere beenden wolle? „Toddy“, wie ihn seine Freunde und seine Konkurrenten nennen, zeigt auf seinen Nebenmann und antwortet spontan:

„Ich möchte wieder dorthin, wo dieser Kerl aus Deutschland jetzt ist – an die Spitze, ganz nach oben!“

Dieser „Kerl“ heißt übrigens Michael Jung, feiert an diesem 30. Juli vor vier Jahren seinen 30. Geburtstag und trägt zwei Goldmedaillen um den Hals.

Im Mai 2013 wird Mark Todd in den Buckingham Palast geladen, denn die Queen persönlich, die dienstälteste Fachfrau der Welt in Sachen Pferdezucht, schlägt ihn zum Ritter. Seither ist er „Sir Mark“, ein Haudegen von Eins-Neunzig, den sein Weltverband FEI im Jahr 2000 zum „Reiter des 20. Jahrhunderts“ ausgerufen hat. Und das mit guten Gründen.

Am 1. März hat der Sir, der jetzt in Rio seine siebten Olympischen Spiele bestreitet, seinen 60. Geburtstag gefeiert. Dort reitet er den 14-jährigen Hannoveraner Campino oder den zwölfjährigen Holsteiner Leonidas, gezüchtet von der deutschen Sportjournalistin Gabriele Pochhammer. Er ist übrigens der einzige Reiter in Rio, der bereits 1984 in Los Angeles im Sattel saß.

„Toddy“, die lebende Reiterlegende, auf deutschen Pferden? Wie jetzt? Ganz einfach: Seitdem es die martialische Military nicht mehr gibt, seitdem der Schwabe Michael Jung seinem Sport den Stempel aufdrückt, seitdem der olympische Dreikampf der Reiter aus Dressur, Geländeritt und Springparcours nicht mehr wie früher in einem Gewaltritt über bis zu 30 Kilometern gipfelt, seitdem sind die Vollblüter aus der Mode gekommen, denn die Vorentscheidung über Sieg oder Niederlage fällt bereits auf dem Dressurviereck – und dort sind deutsche Reiter und Pferde mit hiesigen Brandzeichen klar im Vorteil.

Wichtige Rückblende. Mark James Todd stammt aus Waikato/Neuseeland, reitet als Kind auf Ponys, möchte unbedingt Jockey werden – schießt jedoch auf „six feet two“ in die Höhe. Nix wird’s. Doch sein Freund Andrew Nicolson, zunächst sein Pferdepfleger, später sein Teamkamerad in vielen Schlachten (auch gegen Michael Jung), sagt es treffend:

„Mark kann alles reiten – im Gelände auch eine einjährige Kuh!“

1984, bei den Spielen von Los Angeles, reitet Toddy zwar keine Kuh, dafür den neuseeländischen Wallach Charisma, der laut sogenanntem Stockmaß, also am Widerrist gemessen, lediglich 1,55 Meter groß ist. Ein Kuriosum, über das niemand lacht, denn die beiden werden Olympiasieger, mehr noch: Vier Jahre später, 1988 in Seoul, heißen die Olympiasieger erneut Chrisma unter Mark Todd! Der sagt: „Gute Pferde kommen und gehen, aber ich hatte das Glück, Charisma zu besitzen – ein Pferd, das den Namen Champion wirklich verdient.“

Das Jahr 2000 wird für Todd zum Schicksalsjahr: Bei den Spielen in Sydney gewinnt er auf Eyespy die Bronzemedaille, gerät jedoch privat völlig aus den Fugen, wird mit Kokain erwischt. Während alle entsetzt sind, zieht sich der Ertappte nach Neuseeland zurück, hängt die Buschreiterei an den Nagel, züchtet und trainiert fortan Rennpferde – wieder mit Erfolg. Doch als alle denken, dieser Todd kehrt nie mehr zurück, meldet Anfang 2008 das weltbekannte britische Magazin „Horse & Hound“ die Sensation: „Toddy is back!“ Tatsächlich, bei den von Peking nach Hongkong verlegten Reiterspielen sattelt er Gandalf, belegt bei seinem Comeback immerhin den 17. Rang und sagt: „Es fühlt sich an, als wäre ich nie weg gewesen.“ Hinrich Romeike, der Zahnarzt aus Holstein, gewinnt Gold, ebenso das deutsche Quartett.

Mit einem herben Rückschlag verläuft die vorolympische Saison 2016, denn Mark Todd verliert sein Spitzenpferd, den Schimmel Gandalf, durch eine merkwürdige Krankheit. Was die Spiele von Rio, die am Samstag und Sonntag mit der Dressuraufgabe starten, für ihn bringen werden, ist völlig offen, denn sein Freund Andrew Nicholson, vor einem Jahr schwer gestürzt, kann nicht teilnehmen, hat sich überdies mit dem neuseeländischen Reiterverband überworfen. Sein Team ist also geschwächt.

Doch wer diesen Sir Mark zu früh abschreibt, der begeht einen schweren Fehler, denn sein sportliches Ziel ist und bleibt: „Ich wieder dorthin, wo dieser Kerl aus Deutschland reitet – ganz nach oben!“ Und es wäre keine Überraschung, würde der Reiter des zwanzigsten Jahrhunderts auch in vier Jahren in Tokio noch einmal satteln – dann wäre er 64 und es wären seine achten Spiele.