Die gebürtige Amerikanerin Meredith Michaels-Beerbaum reitet seit 1999 für Deutschland. Heute könnte sie ihre schillernde Karriere krönen.

35 Pferde im Einzelfinale. Meredith Michaels-Beerbaum ist immer ein Hingucker: Nur 1,62 groß, fünfzig Kilo leicht, sportive Jockeyfigur, die Körpersprache höchst selbstbewusst, ob im Abendkleid oder im Reitdress – „MMB“, so ihre Initialen, weiß sehr wohl, dass sie ein Ereignis ist.

Als ihr Otto Becker, der Bundestrainer, vor Wochen in der Aachener Soers sagt, sie sei für Olympia in Rio nur Ersatz, da soll sie äußerst emotional geworden sein: „Wir sind schockiert und tief enttäuscht“, erklärte ihr Mann Markus, sie selbst mied aus Vernunft den Kontakt zu den Medien, wohl wissend, dass ihr ein Wutausbruch vor Kameras und Mikrofonen nur schaden konnte.

Aber „MMB“, die so ein bezauberndes Lächeln besitzt, der Traum von abertausenden Pferdemädchen in aller Welt, weiß sich geschickt zu inszenieren. „Mein Fibonacci ist topfit, er hat die Qualität, in Rio zu bestehen. Ich nehme meinen Job als Reservereiter professionell an und gehe mit zu den Spielen.“ Das sagte sie am Tag nach der für sie tiefsten sportlichen Enttäuschung, ließ ihren schwedischen Wallach in den Frachtflieger an den Zuckerhut stellen und präsentierte ihn, wie es üblich ist, hier mit ihrem charmanten Lächeln den Tierärzten.

Kurz danach die Wende: Marcus Ehnings Hengst Cornadeo fiel aus, plötzlich stand „MMB“ im Team. „Ich hatte mich schon auf den Tourismus hier in Rio eingestellt, aber ich konnte rasch umschalten.“ Kein Zweifel, diese Amazone, der man auch Haare auf den Zähnen nachsagt, ist ein Profi durch und durch, sie verfolgt ihre Ziele mit allem, was ihr zu Gebote steht, zur Not auch mittels Rechtsanwälten.

Meredith Michaels-Beerbaum, am 26. Dezember 1969 in Los Angeles geboren, ist die Tochter des Filmregisseurs Richard Michaels und der Schauspielerin Kristina Hansen. Seit Kindesbeinen sitzt sie im Sattel, kommt 1991 – eigentlich nur für ein paar Wochen – zu Paul Schockemöhle nach Mühlen, um ihr Springreiten dort zu verbessern, wo der Mittelpunkt dieses Sports liegt, nämlich in Deutschland und in Europa.

„Ich wollte nicht so lange bleiben, aber dann hab‘ ich Markus kennen gelernt – und bin geblieben.“

Markus, das ist der jüngere Bruder des berühmten Ludger Beerbaum, in dessen Schatten der heute 45-Jährige lange steht. 1998 heiraten Markus und Meredith, führen einen der weltweit erfolgreichsten Turnier- und Handelsställe für Springpferde.

Seit ihrer Heirat besitzt „MMB“ auch die deutsche Staatsangehörigkeit, reitet als erste Frau überhaupt 1999 in einer deutschen Equipe beim EM-Sieg in Hickstead. 2004 wird sie nicht für die Spiele von Athen nominiert, weil bei ihrem Wallach Shutterfly, dem weltbesten Springpferd jener Jahre, nach dem Weltcupfinale von Mailand Reste eines Beruhigungsmittels gefunden werden. Über ein Jahr kämpft das Ehepaar Michaels-Beerbaum vor Gericht gegen die Vorwürfe – im November 2005 folgt der Freispruch. Trotzdem bleibt ein Makel.

Vergangenen Mittwoch stand „MMB“ strahlend mit Bronze um den Hals auf dem olympischen Treppchen, neben ihr Schwager Ludger, emotional berührt bei seinem letzten aktiven Auftritt bei Olympia; gestern erklärt er seinen Rücktritt aus der Nationalequipe. Neben den Beerbaums nach starkem Stechen gegen die Kanadier die beiden coolen Profis Christian Ahlmann und Daniel Deusser, davor Bundestrainer Otto Becker, wobei man nicht so recht sieht, ob und wie sich das Verhältnis dieser beiden zueinander seit Aachen entwickelt hat.

Meredith sagt: „Ich bin glücklich über meine erste olympische Medaille. 2008 in Hongkong war ich ja knapp geschlagen Vierte, 2012 in London ging Bella Donna sehr gut, war aber noch zu unerfahren.“ Auch vor London war sie zunächst nur Ersatz, rückte nach als das Pferd von Philipp Weishaupt, einem Angestellten ihres Schwagers, sich verletzte.

Kurz darauf wurde die Klassestute Bella Donna an die Saudis verkauft, gewiss für eine Millionensumme; hinter „MMB“ stehen finanzstarke Sponsoren aus den USA. Sie selbst und ihr Mann, das darf man unterstellen, haben über Jahre junge Pferde aus der deutschen Zucht nach Amerika verkauft und/oder vermittelt – für Millionensummen. Schon der frühere Bundestrainer Herbert Meyer hadert oft mit den merkantilen Interessen der Frau, die in Thedinghausen bei Bremen den Hof des einstigen Weltmeisters Gerd Wiltfang erworben hat.

„Meredith verkauft alles, was gut und teuer ist in die USA“, sagt Meyer immer wieder. In der Tat: Über Winter leben die Michaels-Beerbaums drei Monate lang in Wellington/Florida, wo es quasi ein Dauerturnier gibt, einen riesigen Pferdemarkt, zu dem hunderte von Pferden gebracht werden, um dort neue Besitzer zu finden.

Heute, am letzten Wettkampftag der Reiter, geht es in Rio um das Finale im Einzelspringen. 35 Pferde stehen auf der Startliste, die besten 20 von ihnen kommen in die entscheidende zweite Runde. Zu den Favoriten zählen der Kanadier Eric Lamaze, Olympiasieger von 2008, der knallharte US-Profi McLain Ward, der Weltmeister Jeroen Dubbeldam aus den Niederlanden, aber auch zwei Frauen: Luciana Diniz, geboren in Sau Paulo, aber für Portugal reitend, und eben „MMB“, die kleine Frau mit dem riesengroßen Ehrgeiz.