Hinrich Romeike, Ingrid Klimke und ihre Mannschaft reiten sich an die Spitze

Die deutschen Buschreiter können heute Abend in Sha Tin aus eigener Kraft zweimal Gold gewinnen – als Team und in der Einzelwertung. Nach glänzenden Ritten im Gelände steht ihnen allerdings ein dramatisches Finalspringen gegen die Australier bevor.

Breido Graf Rantzau, der deutsche Reiterpräsident, hat für die nach Hongkong ausgelagerten olympischen Wettbewerbe ein klares Ziel vor Augen:

„Ich bin mit der Erwartung hierher gereist, dass unsere Reiter fünf Medaillen holen, zwei davon aus Gold.Wenn wir dieses Ziel verfehlen, wäre ich enttäuscht.“

Doch nach einer Enttäuschung für den Landadeligen und Pferdezüchter aus dem holsteinischen Breitenburg sieht es momentan gar nicht aus, ganz im Gegenteil: Auf dem 4560 Meter langen, schweren Geländekurs mit seinen 29 Hindernissen auf dem Golfplatz am Beas River kann das deutsche Team mit Hinrich Romeike, Ingrid Klimke, Andreas Dibowski, Frank Ostholt und Peter Thomsen heute Abend Gold holen – wie vor vier Jahren in Athen.

Die amtierenden Mannschaftsweltmeister von Aachen 2006 haben 158,10 Minuspunkte auf ihrem Konto, es folgen, knapp dahinter, die Australier mit 162 und die Briten mit 173,70 Strafzählern. Amerikaner und Franzosen, die vor vier Jahren durch ihren Protest zu Gold und Silber gelangt waren, kamen am Beas River geschlagen aus dem Gelände und sind, was die Medaillen betrifft, heute chancenlos.

In der Einzelwertung führt Hinrich Romeike, der 45-jährige Zahnarzt aus Nübel in Holstein, das Feld nach einem überragenden Ritt auf seinem 14-jährigen Schimmel Marius an: „Mein Pferd geht im Gelände wie ein Spürhund, der seiner Beute nachjagt“, hatte Romeike vorher gescherzt. Als er über die Ziellinie galoppiert war und sein Name als Führender nach Dressur und Gelände auf der Anzeigetafel aufleuchtete, sagte er: „Mein Pferd ist überragend gegangen. Das war heute sein 23. internationaler Wettkampf – wieder ohne jeden Hindernisfehler.“

Hauchdünn dahinter folgt Ingrid Klimke aus Münster auf dem elfjährigen Dunkelbraunen Abraxxas. Die Tochter des legendären Dressurreiters Reiner Klimke zeigte unter der Order der beiden Bundestrainer Hans Melzer und Christofer Bartle ebenfalls eine Weltklasseleistung auf dem bergigen Kurs mit seinen 29 Hindernissen: „Dieser Geländeritt hat sehr viel Spaß gemacht. Schade, dass er schon so schnell wieder vorbei war“, sagte Klimke augenzwinkernd.

Bei genauem Hinsehen hatte es freilich keines der 70 Pferde aus 20 Nationen geschafft, innerhalb der geforderten acht Minuten ins Ziel zu kommen: „Dafür war der knifflige Kurs mit seinem vielen Auf und Ab, seinen Wendungen und Hindernisfolgen zu anspruchsvoll“, meinte Hinrich Romeike. Und Ingrid Klimke sagte:

„Um das Mannschaftsergebnis nicht zu gefährden, habe ich am letzten schwierigen Hindernis, der schrägen Kombination mit den zwei Bürsten, den leichteren Weg gewählt und damit 15 Sekunden Zeitverlust in Kauf genommen.“

Was sie als faire Sportlerin unerwähnt ließ, ist dies: Durch diesen Schlenker für die Sicherheit des Teams büßte Klimke die mögliche Führung in der Einzelwertung ein – am Ende womöglich sogar die Goldmedaille?

Als der olympische Geländeritt am Montag um 8 Uhr früh Ortszeit begann, richteten sich zunächst besorgte Blicke gen Himmel – nach mehreren trockenen, wenn auch heißen Tagen, begann es schwülwarm zu regnen. Doch Bundestrainer Hans Melzer und seine Reiter ließen sich nicht aus dem Konzept bringen:

„Mir ist es lieber, es regnet ein wenig – damit kommen die Pferde besser zurecht als wenn die Sonne vom Himmel herunter sticht.“

Am Ende des Wettkampfes knüpfte Melzer daran an: „Heute war ein großer Tag für uns – und es war insgesamt ein guter Tag für die Vielseitigkeit.“ Damit meinte er die Tatsache, dass nur acht Pferde das Ziel des Cross-Country nicht erreichten, keines von ihnen kam ernsthaft zu Schaden. Der neuen Regel, dass ein Sturz das sofortige Aus bedeutet, fiel beispielsweise der Neuseeländer Andrew Nicholson zum Opfer, in seiner Heimat eine Reiterlegende.

Andreas Dibowski, Berufsreiter aus Egestorf in Hostein und mit seinem Leon jetzt auf dem achten Rang, erklärte, was das Besondere an diesem Geländeritt war: „Der Kurs war gestaltet wie ein Springparcours. Man durfte das Tempo nicht übertreiben, aber auch keine Sekunde die Konzentration verlieren. Ich hatte die Anweisung, auf Risiko zu reiten, um unser Zwischenergebnis noch zu verbessern, was mir auch gelungen.“

Der Finaltag für die Buschreiter beginnt heute in Sah Tin mit der Tierarztkontrolle aller Pferde. Nur wer die passiert, darf zum Finalspringen antreten. Zunächst steht die Entscheidung in der Mannschaftswertung an, danach das Finale um die Einzelmedaillen, an dem die punktbesten 25 Reiter starten dürfen. Das Negative an diesem In Athen eingeführten Olympiamodus: Die Weltklassepferde werden quasi bestraft, indem sie zweimal gehen müssen – bei früheren Olympischen Spielen wurden Einzel- und Mannschaftswertung in einem einzigen Springen entschieden.

Doch das IOC meint: Es darf keine zwei Medaillensätze für nur einen einzigen Wettbewerb geben. Dass dies im Reitsport zu Lasten der Pferde geht, hat beim IOC noch gar keiner gemerkt.