Einzelfinale von Dopingvorwürfen überlagert
Der Kanadier Eric Lamaze auf Hickstead ist neuer Olympiasieger im Springreiten. Silber und Bronze gingen an den Schweden Rolf Göran Bengtsson auf Ninja und die Amerikanerin Beezie Madden auf Authentic. Überlagert wurde das Finale durch die Suspendierung von vier Springreitern.
Als erster der vier Betroffenen hat gestern der Brasilianer Bernardo Alves die Anwendung des Gels mit der verbotenen Substanz Capsaicin zugegeben. Unter Tränen sagte Alves gegenüber der Stuttgarter Zeitung:
„Ja, ich habe das Gel für mein Pferd genommen, ich wusste aber nicht, dass es verboten ist. Auf dem Gel stand ,Test free’. Ich habe doch nichts Unrechtes getan.“
Für das Laienverständnis: Auf dem internationalen Medikamentenmarkt kursieren Mittel, die die Aufschrift „Test free“ oder auch „Dopingfrei“ tragen. Damit soll den Kunden suggeriert werden, diese Mittel seien erlaubt – oder könnten nicht nachgewiesen werden. Der aktuelle Fall lehrt, dass die Messtechnik immer präziser wird. Das Labor des Hongkong Jockey Club gilt als das beste, technisch am höchsten ausgestattete der Welt. Jährlich werden dort fast 20 000 Tests aus dem Rennsport und dem Turniersport untersucht.
Gegen 22 Uhr Ortszeit ging der in Münster lebende Ire Dennis Lynch mit seinen irischen Verbandsfunktionären vor die Presse: „Das Mittel, das den Namen ,Equibloc’ trägt, benutzen ich und viele andere Reiter seit Jahren. Mein Pferd Lantinus ist wiederholt getestet worden – immer waren die Kontrollen negativ.“ Er könne sich die Widersprüche nicht erklären.
Auch Ludger Beerbaum äußerte sich, nachdem ihm im ersten Umlauf auf All Inclusive ein Abwurf unterlaufen war:
„Ich bin darüber geschockt, wie alle anderen auch. In den letzten Stunden habe ich mich mit dem Parcours beschäftigt, denn ich sehe eine Medaillenchance für mich. Was ich komisch finde ist, dass bei vier Pferden ein und dasselbe Mittel festgestellt worden ist. Mir hat man gesagt, das reiben auch Diskuswerfer ein, um ihre strapazierten Muskeln zu entspannen.“
Meredith Michaels-Beerbaum erklärte nach dem ersten Umlauf mit Shutterfly, bei dem sie, wie ihr Schwager Ludger, einen Abwurf hatte: „Auch ich bin geschockt von den Vorkommnissen. Jetzt werde ich mich zuerst auf meinen Sport konzentrieren, danach Ende werde ich mich informieren, was da los war.“ Von dem Mittel Capsaicin, so Michaels-Beerbaums, „habe ich noch nie etwas gehört“. Auch Isabell Werth äußerte sich: „Ich bin sprachlos. Trotzdem bin ich dafür, jetzt auch fair zu bleiben und abzuwarten, was die B-Probe und die weiteren Untersuchungen bringen.“
Unterdessen wurde durch die Gespräche unter den Reitern am Sattelplatz immer deutlicher: Das fragliche Mittel wird in vielen Reit- und Turnierställen seit langem verwendet. Nicht alle Reiter wissen, dass es eine Substanz enthält, die auf dem Index der FEI steht.
Trotz alledem – geritten wurde gestern Abend in Hongkong auch noch. Während es hinter den Kulissen mächtig kochte, zeigte die Weltelite des „Showjumping“ vor 15 000 Zuschauern im Stadion von Sha Tin ihre Künste. Zehn der 34 Finalisten meisterten den ersten schweren Umlauf ohne Fehler, nur die besten 22 Pferde durften zum entscheidenden zweiten Umlauf antreten.
Darunter auch Ludger Beerbaum und seine Schwägerin. Doch die deutschen Springreiter haben Sha Tin mit leeren Händen verlassen – zum erstenmal seit den Spielen von 1948 in London ohne Medaille. Damals, so kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, durfte das besiegte Deutschland gar nicht teilnehmen.