Ein krasser Fehler kostet Deutschlands beste Vielseitigkeitsreiterin die Olympiateilnahme
Das vermeintliche Riesenpech der kleinen Reiterin Bettina Hoy hat vor vier Jahren die Sportnation gerührt. Zwei Goldmedaillen waren futsch. Doch aus der olympischen Revanche wird nichts. Ihr 17-jähriger Schimmel Ringwood Cockatoo ist verletzt. Aber warum?
„Papi, ich hab’ Gold!“ Freudig erregt und mit schriller Stimme schrie Bettina Hoy in die Mikrofone und die Fernsehkameras, die dicht auf sie gerichtet waren. Soeben hatte die 42-jährige Profireiterin den Parcours der olympischen Vielseitigkeit absolviert, den dritten und letzten Teil des klassischen Wettkampfes aus Dressur, Geländeritt und Springen.
Gold für die beste deutsche „Buschreiterin“, Gold auch für die Mannschaft, zu der noch Frank Ostholt, Ingrid Klimke, Hinrich Romeike und Andreas Dibowski gehörten. Auch die waren außer sich vor Freude, tanzten im Kreis und ließen sich wenig später die Goldmedaillen umhängen und die klassischen Lorbeerkränze aufs Haupt drücken.
Wenig später kam das dicke Ende: Ausgerechnet Bettina Hoy hatte im Eifer des olympischen Gefechts mit ihrem mächtigen Schimmel Ringwood Cockatoo die Startlinie zum entscheidenden Springen zweimal passiert – ein Anfängerfehler. Schon Kindern und Jugendlichen wird von ihren Trainern eingetrichtert, was man im Parcours zu tun hat, wenn die Startglocke erklungen ist: Konzentriert sein im Sattel, klaren Kurs nehmen auf das erste Hindernis – ja nicht zweimal über die Startlinie!
Die Teamchefs der Amerikaner und der Franzosen, die zunächst Silber und Bronze erhalten hatten, kannten in diesem Falle kein Pardon. Sie legten bei der olympischen Jury Protest ein – und bekamen nach einigem Hickhack Recht. Alle waren sich einig: Streng sportlich betrachtet, hätten die Deutschen die beiden Goldmedaillen verdient gehabt – doch wer die Regeln verletzt, der muss disqualifiziert werden. So geschah es auch. Das Team von Bundestrainer Hans Melzer kehrte wie die begossenen Pudel heim, alle mussten ihre Goldmedaillen wieder abgeben. Erst kürzlich sagte Ingrid Klimke aus tiefstem Herzen:
„Ich möchte nie wieder eine olympische Goldmedaille in einem Päckchen zurückschicken.“
Aachen am vorvergangenen Wochenende. In der Soers haben Hans Melzer und das Deutsche Olympiadekomitee für Reiterei den letzten Test vor der Quarantäne und der Abreise nach Hongkong angesetzt. Die Geschlagenen von Athen sind dabei. Vor zwei Jahren haben sie hier die Weltmeisterschaft gewonnen und aller Reiterwelt geschworen, dass sie sich in Sha Tin und am Beas River für die Schmach von Athen revanchieren werden. Doch dann gibt es einen unliebsamen Zwischenfall. Am Morgen glänzt die 46-jährige Bettina Hoy mit ihrem inzwischen 17-jährigen Schimmel wieder einmal als beste.
Aber im Parcours, der diesmal bereits am Nachmittag zu absolvieren ist, passiert das undenkbare: An einem einfachen grünen Steilsprung rutscht Ringwood Rockatoo auf den Hinterbeinen in die Stangen, die krachend übereinander purzeln. Auf dem Weg zum Ziel kassiert sie weitere Fehler. Und was noch schlimmer ist: Ihr Pferd lahmt, es hat sich bei dem Ausrutscher eine Pellung und einen Bluterguss an der Hinterhand zugezogen. Beim Geländeritt am nächsten Tag muss Ringwood Cockatoo im Stall bleiben.
Wie konnte es dazu kommen? Hans Melzer, der Bundestrainer, gab, nur äußerlich gelassen, folgende Erklärung: „Bettina hat heute morgen beschlossen, den Kinnriemen an ihrem Reithalfer enger zu ziehen als sonst, um ihr Pferd besser halten und steuern zu können.“ Ein folgenschwerer Missgriff. Denn Kenner wissen: je enger der Kinnriemen, desto sensibler reagiert das empfindliche Pferdemaul, umso vorsichtiger muss der Reiter die Zügel führen.
Anders gesagt: Als Bettina Hoy das Hindernis anpeilte, das ihr zum Verhängnis wurde, verstand ihr Schimmel das Ziehen an den Zügeln als Aufforderung zur Vollbremsung – ein krasser Reiterfehler. Der Wallach wurde regelrecht von den Beinen geholt. Auf die Frage, ob einem Profi dieser Klasse so etwas passieren dürfe, zuckte Melzer nur mit den Schultern – und schwieg. Auch Bettina Hoy äußerte sich nicht.
Die Reaktion der Funktionäre ließ nicht lange auf sich warten: Bettina Hoy wird unter Vorbehalt ins Olympiateam aufgenommen. Am kommenden Wochenende muss sie ihr Pferd bei der Vielseitigkeit in Hünxe starten, danach wird entschieden, ob sie mit nach Hongkong fährt. Doch soweit ist es nicht mehr gekommen. Hoy hat, wie schon kurz berichtet, am Donnerstag ihr Pferd zurückgezogen:
„Ich bin sehr unglücklich. Meinem Pferd geht es den Umständen entsprechend gut, aber ich merke, dass es sich nicht wohl fühlt.“
Sie habe sich nach den Ereignissen in Athen nichts sehnlicher gewünscht, als eine neue Chance zu bekommen auf eine olympische Medaille. Nun gelte es, die persönliche Enttäuschung zu überwinden. Hoy wird mit ihrem Pferd heimreisen ins englische Gatcombe, dem Landgut von Prinzessin Anne, wo sie mit ihrem Mann, dem australischen Topreiter Andrey Hoy, lebt. Auch der ist bitter enttäuscht: Sein Heimatland hat ihn nur als Reservereiter für Hongkong nominiert.