Nach dem Ausfall von Philip Weishaupt bekommt Meredith Michaels-Beerbaum ihre zweite Olympiachance. Es ist wirklich wie verhext.

Erst Nagels Corradina nicht fit, dann Beerbaums Gotha und Kutschers Cornet, jetzt auch noch Philip Weishaupts Hengst Monte Bellini aus dem Besitz des Landgestüts Sachsen-Anhalt in Prussendorf. Kurz vor den Reiterspielen im Greenwich Park hat Deutschland eine komplette Olympiaequipe verloren – so viel Pech gab’s noch nie vor dem Höhepunkt aller sportlichen Mühen.

Otto Becker, der Bundestrainer, macht einigermaßen gute Miene zum traurigen Spiel: „So langsam wird’s brenzlig für uns. Jetzt darf nichts mehr passieren. Aber wir lassen uns nicht unterkriegen.“ Am 3. August beginnen die Wettkämpfe der Springreiter, bis dahin muss sich der Holsteiner Thomas Voß mit seinem Hengst Carinjio als Reservist für einen weiteren Fall des Falles bereithalten.

Otto Beckers Team, das vor zwölf Jahren in Sydney – unter seiner tätigen Mithilfe auf dem Schimmelhengst Cento – Gold gewann, hat 2004 in Athen und 2008 in Hongkong bitterschlechte Schlagzeilen geliefert. In London möchte man diese tiefe Scharte auswetzen: Janne Meyer auf Lambrasco, Christian Ahlmann auf Codex One, Marcus Ehning auf Plot Blue und nun eben Meredith Michaels-Beerbaum anstelle von Philip Weishaupt sollen es richten. Der Papierform nach ist das – trotz aller Rückschläge – eine starke Truppe, die am 6. August im Mannschaftsfinale durchaus eine Medaille gewinnen kann.

Schließlich sind mit Meyer, Michaels-Beerbaum und Ehning drei amtierende Mannschafts-Weltmeister von Kentucky 2010 nominiert. Und was Otto Becker öffentlich nicht sagen kann, das ist: „MMB“, wie man sie in der Szene kurz und knapp nennt, bringt weitaus mehr Erfahrung aus dem internationalen Topsport mit als Philip Weishaupt.

Kurz und knapp war auch die erste Stellungnahme der 42-jährigen, gebürtigen Amerikanerin aus Thedinghausen bei Bremen auf ihrer Internetseite: „Natürlich freut sich Meredith sehr auf London, vor allem, weil Bella Donna sich sehr gut präsentiert. Zugleich fühlt sie mit Philip Weishaupt und bedauert ihn.“ Beim Turnier im französischen Chantily hatte sie am Freitag von ihrem Glück erfahren:

„Ich kann es noch gar nicht recht glauben, aber das ist nun mal der Job eines Ersatzreiters – einzuspringen, wenn es sein muss.“

Schon vor Monaten hatte der Bundestrainer ein wohlwollendes Auge auf die erst neunjährige Holsteiner Stute unter der mit allen Wassern gewaschenen „MMB“ geworfen. Anfang Mai in Mannheim sagte Otto Becker: „Dieses Pferd hat sich toll entwickelt, allerdings ist es noch etwas jung – London kommt vielleicht ein Jahr zu früh für die Stute.“

Ohne viel Tamtam hat Meredith Michaels-Beerbaum dieses Pferd auf die internationalen Parcours gebracht. Genau vor einem Jahr, am 17. Juli 2011, hatte sie in der Aachener Soers ihren legendären Shutterfly verabschiedet, der sich nun als vierbeiniger Rentner auf der Weide tummelt. Ein tiefer Einschnitt in ihrer Karriere schien unvermeidlich – ein auch nur annähernd gleichwertiges Pferd war nirgendwo in Sicht.

Aber „MMB“ und ihr Mann Markus Beerbaum, der jüngere Bruder des berühmten Ludger Beerbaum, hatten sehr wohl Talente in ihrem Stall. Dem Ehepaar bescheinigt man seit langem ein goldenes Händchen beim Aufspüren begabter Nachwuchspferde – allerdings neigen beide dazu, ihre Cracks sofort zu verkaufen, wenn die Angebote stimmen, vor allem die aus den USA, Merediths Heimatland.

Zurück zu Bella Donna, die nun doch auf dem olympischen Parcours zum Einsatz kommen wir: „Unsere Stute hat das Zeug für den ganz großen Sport“, sagte Markus Beerbaum vor wenigen Wochen in der Aachener Soers. Und selbstverständlich werde seine Frau dazu bereit sein, die undankbare Rolle des Reservisten zu übernehmen, obwohl man als Ersatzreiter nicht einmal eine Akkreditierung für den Greenwich Park bekomme. Das war, wie sich jetzt zeigt, höchst professionell gedacht. Und höchst professionell agierte „MMB“ auch am Schlusstag von Aachen, als sie im Großen Preis vor 50 000 Zuschauern ins Stechen ritt, am Ende den dritten Platz belegte und satte 50 000 Euro als Preisgeld einstreichen konnte.

Vor vier Jahren in Hongkong schlitterte „MMB“ auf ihrem Shutterfly nur ganz knapp an der Bronzemedaille im Einzelspringen vorbei – in London ist ihr, selbst mit einem so jungen Pferd wie Bella Donna, allerhand zuzutrauen. Die Konkurrenz jedenfalls sollte sich nicht zu früh freuen über das Pech der deutschen Springreiter vor diesen Spielen.