Der niederländische Bondscoach Sjef Janssen sollte Trainer von Matthias Alexander Rath werden – er darf aber erst nach Olympia. Am späten Dienstagabend überschlugen sich die Neuigkeiten.
Erst bestätigte Matthias Alexander Rath, er und sein „Wunderhengst“ Totilas hätten einen neuen Trainer: ausgerechnet den holländischen Nationaltrainer Sjef Janssen, jenen ausgebufften Profi, der seinen Landsmann Edward Gal und Totilas über Jahre hinweg betreut und 2010 in den USA zum dreifachen WM-Gold geführt hat. Eine kleine Sensation. Aber schon zwei Stunden später musste Rath zurückrudern: „Sjef Janssen wird zunächst nur mich und meine Nachwuchspferde trainieren – Totilas erst nach den Spielen in London.“
Der Hintergrund für die Kehrtwende: Der niederländische Reiterverband hatte seinen Bondscoach harsch zurückgepfiffen. Ein deutsches Gespann zu trainieren, das in unmittelbarer Konkurrenz zu den eigenen Medaillenträumen bei Olympia steht – unmöglich. Janssen lenkte ein.
Holger Schmezer, der deutsche Bundestrainer, sagte gestern gegenüber der Stuttgarter Zeitung: „Aus meiner Sicht ist das zunächst einmal eine reine Privatsache. Wer Heimtrainer ist, habe ich nicht zu bewerten. Klar ist, dass wir in London drei Pferde und Reiter in Topform brauchen.“ Acht Paare hätten die Chance, sich zu qualifizieren, darunter auch Matthias Alexander Rath mit Totilas.
„Wer auf dem Viereck die entsprechende Leistung bringt, der wird nominiert“, erklärte der Bundestrainer lapidar. Doch für niemanden werde „eine Extrawurst gebraten“.
Was Holger Schmezer schamhaft verschweigt: Der Versuch von Raths schwerreicher Schwiegermutter Ann Kathrin Linsenhoff, knapp sieben Monate vor den olympischen Spielen genau den Trainer zu verpflichten, der den elfjährigen Rapphengst Totilas in- und auswendig kennt, bedeutet das schlichte und ziemlich späte Eingeständnis, mit dem eigenen Latein am Ende zu sein. Ihr 27-jähriger Stiefsohn und das elfjährige Ausnahmepferd bilden nach gut einem Jahr noch immer keine Einheit, um auf höchstem Dressurniveau die Konkurrenz in ihre Schranken zu weisen.
Mehrmals schon musste die gemeinsame Trainingsarbeit, die bisher von Raths Vater Klaus Martin geleitet wurde, für Wochen unterbrochen werden, weil sich der Hengst, der rund zehn Millionen Euro gekostet haben soll, verletzt hatte. Kurzfristig musste der geplante Start beim eigenen Hausturnier Anfang Dezember in der Frankfurter Festhalle abgesagt werden. Auch zum „World Dressage Masters“ Ende Januar in Wellington/Florida, wo sich die beiden, fernab der Heimat, den starken Herausforderern aus Amerika stellen wollten, musste abgeblasen werden.
Seit der enttäuschenden EM von Rotterdam im August 2011, wo es zwar Teamsilber für die deutschen Dressurreiter gab, aber zum erstenmal in der Geschichte keine Einzelmedaille, konnte Totilas keinen Wettkampf mehr bestreiten. Gestern schrieb Matthias Alexander Rath auf seiner Internetseite:
„Da Sjef noch bis London einen Vertrag mit der holländischen Nationalmannschaft hat, kommt ein Training mit Totilas frühestens nach den Spielen in Frage. Wir können und werden viel von ihm lernen, ich freue mich auf die gemeinsame Arbeit.“
Noch vor nicht allzu langer Zeit hatte Rath seinen Vater, wie Janssen ebenfalls ein Berufsreiter, als „den besten Trainer der Welt“ bezeichnet. Nun vergibt der junge Rath diesen Titel an den Niederländer: „Ich freue mich, mit dem derzeit weltbesten Dressurtrainer einen zusätzlichen Trainer für meine Nachwuchspferde gewonnen zu haben.“ Dass beide in der nun beginnenden Arbeit mit den jungen Rath-Pferden kein Sterbenswörtchen über Totilas wechseln werden, glaubt in der Szene übrigens niemand. „Das wäre doch völlig lebensfremd“, unkt einer, der partout nicht genannt sein möchte – die kleine Welt der Dressurreiter ist voller Klatsch und Tratsch.
Kurze Rückblende. Der heute 61-jährige Sjef Janssen gilt seit langem als einer der weltbesten und erfolgreichsten Trainer von Reitern und Pferden. Seine Frau Anky van Gunsven führte er mit Bonfire und Salinero zu drei olympischen Goldmedaillen in der Einzeldressur, dazu kamen Seriensiege im Weltcupfinale der Kürreiter und in ungezählten schweren Wettkämpfen. Zuletzt brachte Janssen die 32-jährige Adelinde Cornelissen mit Parzival an die Weltspitze.
Auch der Niederländer Edward Gal, der seine Karriere einst als Pferdepfleger im Stall von Sjef Janssen begonnen hat, verdankt diesem den Aufstieg zum dreifachen Weltmeister von Lexington/Kentucky im Herbst 2010. Dort kümmerten sich die beiden Profis über zwei Wochen hinweg täglich mehrere Stunden lang um Totilas, einen Nachkommen des Trakehner Hengstes Gribaldi. Die Fachwelt wusste zu diesem Zeitpunkt längst, dass dieses Ausnahmepferd alle anderen überragen kann – aber wegen seiner Eigenwilligkeit ungemein schwer zu reiten ist.
Doch Paul Schockemöhle, einen der weltweit führenden Pferdehändler und Pferdezüchter, focht das nicht an. Er sicherte sich noch während der WM in den USA den Hengst für angebliche zehn Millionen Euro – Wochen später, nachdem die „Dressurkönigin“ Isabell Werth es abgelehnt hatte, Totilas künftig zu reiten, teilte sich Schockemöhle den Besitz mit Ann Kathrin Linsenhoff, der Mannschafts-Olympiasiegerin von Seoul 1988. Seitdem sitzt deren Stiefsohn Matthias Alexander Rath im Sattel. Doch dem erst 27 Jahre alte Amateur und BWL-Studenten mangelt es an reiterlicher Erfahrung, zwischen ihm und dem Erfolgsgespann Sjef Janssen/Edward Gal liegen Welten. Rath kann die erstaunlichen Fähigkeiten dieses Bewegungskünstlers auf vier Beinen nicht abrufen.
Seitdem der wunderschöne Rapphengst Ann Kathrin Linsenhoff aus Kronberg im Taunus und Paul Schockemöhle aus Mühlen in Oldenburg gehört, pendelt das von vielen Züchtern begehrte Vatertier zwischen diesen beiden Orten. Öffentlich nicht bekannt ist übrigens, ob er sich in der Trainingsarbeit unter dem Reiter verletzt hat oder beim Decken. Gegenwärtig jedenfalls steht der Hengst auf der Schockemöhle‘schen Deckstation im Oldenburger Land.
Am kommenden Sonntag und am Sonntag darauf werden neugierige Reitersleute und Züchter zu Hunderten dorthin pilgern, denn Totlias soll dort – neben anderen kapitalen Hengsten – gezeigt werden. Unklar ist allerdings, ob man ihn unter dem Sattel zu sehen bekommt – oder nur an der Hand. Völlig offen ist, wann beide in den Spitzensport zurückkehren.