Nach dem Rücktritt von Ludger Beerbaum steht der deutsche Springsport vor einem Umbruch.

Bleibt Otto Becker weitere vier Jahre Bundestrainer? Als die Frage aufkommt, wie er den Rückzug von Ludger Beerbaum aus der Nationalequipe bewertet, muss Otto Becker, der Bundestrainer, plötzlich schwer schlucken, den Tränen nahe: „Da kommt bei mir Wehmut auf! Wir sind einen langen Weg gemeinsam gegangen!“ Dabei waren die beiden keineswegs zu allen Zeiten unzertrennliche Freunde – zu groß sind die Unterschiede: Da ist Otto, Jahrgang 1958, der Winzersohn aus dem fränkischen Großostheim, und da ist Ludger, Jahrgang 1963, der Sohn eines Gutsverwalters aus Göttingen.

Otto muss sich seinen Sport hart erkämpfen, feiert 1976 in Tübingen seinen ersten Titel als deutscher Juniorenmeister. Ludger wird Anfang der achtziger Jahre bei der Talentsuche vom legendären Hermann Schridde entdeckt, geht gleich zu Paul Schockemöhle, für den später auch Becker arbeitet. Beerbaum macht Schlagzeilen, als er 1989 seinem Chef und Gönner die Frau ausspannt – Barbara Schockemöhle verlässt ihn Jahre später wieder.

Becker heiratet den Dressurstar Nicole Uphoff – leider auch ein Irrtum. Beerbaum ist inzwischen mit der Engländerin Arundel Davison verheiratet, hat zwei kleine Töchter. Becker hat Julia Funke geheiratet, inzwischen drei Töchter; seine Frau gehört zur Inhaberfamilie der durch Zukäufe mächtig gewachsenen Funke-Mediengruppe.

Ende der Neunziger kommt es auf dem Trainingsplatz beim Turnier in Donaueschingen zu dieser berühmt gewordenen Szene: „Lern‘ Du erst mal das Reiten“, schreit ein erboster Ludger Beerbaum laut über den ganzen Platz – das Nationscup-Finale, vom asiatischen Konzern Samsung gesponsert, wird für die Equipe von Bundestrainer Herbert Meyer zum Fiasko. Schlimmer noch: 2004 in Athen haben Beerbaum, Becker und Ahlmann die Goldmedaille erkämpft – Stunden später wird sie ihnen aberkennt, weil Beerbaums Hengst Goldfever mit einer verbotenen Salbe behandelt worden ist. Es wäre Ottos zweites Gold gewesen nach Sydney 2000. Tief drinnen, das spürt man, hadert er immer noch mit dieser Misslichkeit.

Ludger Beerbaum, der Star, der Liebling er Medien, der Mann, dem alle an den Lippen hängen, der frei von der Leber weg redet, keinen Konflikt scheut – eines Tages sagt er: „Nein, Bundestrainer wäre mir zu langweilig!“ Das hätte er sich verkneifen können. Becker wiederum setzt sich mehr und mehr durch:

„Wir legen unseren Saisonplan gemeinsam fest, alle Reiter folgen mir. Ohne das ist kein Erfolg möglich.“

Jetzt in Rio hat Ludger seinem Freund Otto ein großes Geschenk gemacht: eine überragende Nullrunde mit seinem Casello, ohne die hätte es kein Stechen gegen die Kanadier und zum guten Schluss keine Bronzemedaille gegeben.

Und wie geht es weiter? Ludger Beerbaum startet Mitte September in Barcelona noch einmal für Deutschland. Seine internationale Karriere wird er fortsetzen, Mitte November wieder in der Schleyerhalle satteln. Otto Becker sowie sein Co-Trainer Heiner Engemann müssen sich entscheiden, ob sie ihre Verträge mit dem Reiterverband in Warendorf beziehungsweise dem DOSB verlängern. Otto sagt: „Darüber hab‘ ich mir noch keine Gedanken gemacht, es ist ja noch Zeit.“

Breido Graf Rantzau, der deutsche Reiterpräsident: „Bis Dezember ist Zeit. Wir werden uns in den kommenden Wochen mit allen zusammensetzen, auch mit Monica Theodorescu und Jonny Hilberath für die Dressur, ebenso mit Hans Melzer und Chris Bartle für die Vielseitikeit. Wir möchten mit allen verlängern.“ Die Verträge der Bundestrainer in den olympischen Sportarten gelten traditionell über eine Olympiade – den Zeitraum von vier Jahren.

Wichtig zu wissen: Otto Becker und Ludger Beerbaum bleiben unverzichtbar für den internationalen Springsport. Mitte November läuft in Tokio die nächste Generalversammlung des Weltverbandes FEI (Federation Equestre International). Auf der Tagesordnung steht, man glaubt es kaum, die Abschaffung des Wassergrabens! Becker sagt: „So ein Unsinn!“ Beerbaum hätte wohl nichts dagegen, ist jedoch in seinem Sport ein Traditionalist. Woher stammt der Vorstoß? Die US-Amazone Beezie Madden und ihr Cortez haben stets Probleme am Wassergraben, auch jetzt wieder in Rio. Ihr Mann John Madden ist Vizepräsident der FEI. So klein sind oftmals die Motive. Noch Fragen?