1976 hat er zum ersten Male die britische Meisterschaft der Springreiter gewonnen. Jetzt ist er 68 Jahre alt und hat am Montag das Hallenturnier von London mit einem Sieg der „Six Bare Competion“ beendet. Siegprämie 5000 Euro. Sein Name ist John Whitaker. Geboren 1955 in Hudderfield/Yorkshire. John ist eine lebende Legende, quasi das Oberhaupt der weltberühmten Reiterfamilie Whitaker. Würde man ihn fragen, wann er vorhat, aus dem Sattel zu steigen – seine Antwort wäre ein Achselzucken. Ohne Worte. 

Olympiasieger oder Weltmeister ist John Whitaker bis heute nicht geworden. Wohl aber ein Vorbild für viele seiner Konkurrenten über die Jahrzehnte. 1984 in Los Angeles gewann er Teamsilber mit der britischen Equipe – seine einzige olympische Medaille. 1980 war er Vize-Weltmeister mit seinem Wunderschimmel Milton. 1984 durfte er mit ihm nicht zu den Spielen nach Seoul, weil Miltons Besitzer, das Ehepaar Bradley, dem Start nicht zustimmte. 1987 hatte er die Europameisterschaft gewonnen.

Sieht man John Whitaker heute im Sattel, so scheint die Zeit stehen geblieben. Er besitzt eine erstaunliche körperliche Fitness. Wobei ich daran erinnern möchte, dass John 2000 beim Turnier in Stockholm im Parcours eine Hirnschlag erlitten hat. Nur das rasche Eingreifen der Ärzte rettete ihm das Leben. Er konnte, völlig wieder hergestellt, seine Profikarriere fortsetzen. Ein Risiko bleibt für ihn bis heute. Aber John sagte damals trocken: „Ich kann nur reiten, ich hab‘ nichts anderes gelernt.“

Schaut man ganz genau auf die Ergebnisliste des Barrierenspringens von London, so findet man unter dem Stichwort Owner/Besitzer: „H.H. Prince Torki Ben Mohammed Al Saud“ Das Pferd aus der französischen Zucht heißt Sharid, ist ein 14-jähriger Wallach. Ich sag’s mal salopp: Auf seine alten Tage hat sich John Whitaker offenkundig von den Saudis engagieren lassen. Das erinnert mich an Fußballstars wie Ronaldo und Draxler. Dahinter steckt, wie wir inzwischen wissen, eine politische Absicht. Das Weltcupfinale 2024 findet nicht aus Zufall in Riad statt. Im Moment sieht es allerdings nicht danach aus, dass John dort teilnehmen möchte. (Oder die Saudis geben ihm eine Wildcard.)

Apropos Six Bar. John gab nach seinem Sieg den passenden Kommentar: „Es war heute nicht leicht. Es ist niemals leicht. In der zweiten Runde war ich etwas zu schnell und hatte etwas Glück, dafür liefen die letzten zwei Runden für mich perfekt. Sharid ist außerordentlich gut im Barrierenspringen. Bei der Horse of the Year Show im Oktober hat er solch ein Springen gewonnen. Es war großartig für mich heute auch hier zu gewinnen.“

Das Beispiel zeigt, dass man im Vereinigten Königreich eisern an der Tradition festhält. Barrierenspringen gibt’s bei uns schon längst nicht mehr. Sechs Sprünge hintereinander, wie eine sechsfache Kombination aufgebaut, mit jeweils zwei Galoppsprüngen dazwischen – in vielen Hallen, selbst den größeren, fehlt einfach der Platz, um die Barrieren einigermaßen pferdegerecht aufzubauen. Aus meiner Sicht gehören diese Springen – wie auch die Mächtigkeitsspringen – der Vergangenheit an. Ich weiß, dass einige Turniermacher diese Ansicht überhaupt nicht teilen. Sie hängen am Spektakel über die große rote Mauer, die ihnen stets am Samstagabend ein volles Haus und nach dem Sport ein volles Bierzelt beschert hat. Und nach dem Turnier einiges Geld in der Kasse.

Aber die Zeiten sind nun mal nicht mehr so. Nur wenn John Whitaker, die lebende Legende, in den Sattel steigt, leuchtet vor uns die Vergangenheit noch einmal auf.