Plötzlich steht Frank Kempermann vor mir, der Mann, der das „Tschio“ mehr als zwanzig Jahre lang in die Zukunft geführt hat. Und das mit Erfolg. Vor einem Jahr hat er sein Amt angegeben. Jetzt sagt er spontan: „Mein neues Leben ist super!“ Wäre der sympathische Niederländer noch in Amt und Würden, hätte er sich anno 2023 mit einer misslichen Situation auseinandersetzen müssen: Jan Tops, sein ehrgeiziger Landsmann, macht dem CHIO in der Soers kräftig Konkurrenz. In Monte Carlo gibt’s auf der Global Tour im Großen Preis 1,5 Millionen Preisgeld – genauso viel wie in Aachen!

Seit Tagen schon wird in der Soers getuschelt: Schau doch mal auf die aktuelle Weltrangliste bei den Springreitern – wer hier reitet und wer in Monaco? Vor einem Jahr, so erinnere ich mich, war die Situation schon einmal so. Damals nahmen sich einige Jockeys, etwa Max Kühner, kurz und knapp einen privaten Flieger, um auf beiden Hochzeiten tanzen zu können. Das haben, so höre ich, die Aachener für dieses Jahr untersagt. Motto: Wer in Monaco reitet, bekommt kein Startrecht in der Soers.

Also blicken wir gemeinsam auf die Weltrangliste: Henrik von Eckermann und Julien Epaillard, die beiden führenden, starten in Monte Carlo. McLain Ward, die Nummer drei, ist aus guten Gründen in der Soers: Sollte er am Sonntag den Großen Preis gewinnen, bekäme er den Grand Slam, also eine Million Bonus extra. Bis dato hat das, wir erinnern uns, 2015 nur Scott Brash geschafft.

Martin Fuchs, die Nummer fünf der Weltrangliste, ist hier in Aachen. Conor Swail, der sechste, ist nirgends aufzutreiben. Simon Delestre, die Nummer sieben, reitet in Aachen, Harrie Smolders, die Nummer acht in Monaco. Daniel Deusser, Platz neun, startet in der Soers, versucht hier, seine Durchstrecke der letzten Monate vergessen zu machen. Die Nummer zehn, der Brasilianer Zanotelli, ist in Monte Carlo, hat ohnehin seinen Schwerpunkt auf der Global Tour.

Schaut man weiter, verteilen sich Reiterinnen und Reiter auf die beiden Turniere. Schauen wir aufs Geld, erkennen wir ein kleines Kuriosum: Beide Großen Preise, der von Monaco am Samstag, der von Aachen am Sonntag, sind jeweils mit 1,5 Millionen Euro ausgestattet. Der kleine Unterschied besteht in folgendem Detail: In Moncao bekommt der Sieger 495 000 Euro, in der Soers kriegt der Beste der besten glatte 500 000 Euro. Tja, fünf Mille sind ja nicht nix! Oder?

Jetzt mal Spaß beiseite. Die Konkurrenz belebt das Geschäft! So sagt es der Volksmund. Aber unser niederländischer Freund Ja Tops hat sich, je länger desto mehr, zu einem kompromisslosen Kämpfer in eigener Sache entwickelt. Und die FEI, der Weltverband, setzt ihm leider keine Grenzen. Selbst die so traditionsreichen und verdienstvollen Aachener hatten keine Chance, die Provokation zu verhindern: Jan Tops macht der Soers knallhart Konkurrenz. (Mit den Stuttgartern treibt er’s bekanntlich noch dreister: Das Global-Finale in Prag, wo es Millionen zu holen gibt, hat er 2023 eiskalt auf den Termin des German Masters gesetzt.)

Wer sich die Startliste von Monaco anschaut, der findet dort neben allerhand Prominenz auch allerhand deutsche Damen und Herren, die man gerne hier in der Soers gesehen hätte: Christian Ahlmann, Katrin Eckermann, Christian Kukuk, Patrick Stühlmeyer, Laura Klapahake, aber auch Malin Baryard-Johnsson, Maikel van der Vleuten. Da lob‘ ich mir Rodrigo Pessoa, der in der Soers seit Jahrzehnen viele Fans hat, die ihm treu und frenetisch applaudieren. Und wenn man seinem Vater Nelson hier begegnet, ist man angerührt – so viel lebende Sportgeschichte! Chapeau!

Frage: Bringen wir unseren Sport wirklich weiter, wenn wir uns auf offener Szene bekämpfen, um nicht zu sagen bekriegen? Geht es wirklich nicht anders, als dass Jan Tops die Ellenbogen ausfährt und ohne  Rücksicht vorgeht, nicht darauf achtend, wie es um seinen Ruf bestellt ist? Und weshalb sorgt die FEI eigentlich nicht dafür, dass es auf der großen Bühne der Springreiterei fair und vernünftig zugeht? Brauchen wir tatsächlich ein Haifischbecken nach dem Motto „Der Stärkere schluckt die Kleineren. Gnade wird nicht gewährt!“

Ich sag’s mal so: Wenn das so weitergeht, fliegt uns der ganze Laden in absehbarer Zeit um die Ohren. Denn die kritische Öffentlichkeit hat kein Verständnis dafür, dass sich überdrehte Egomanen den Sport zur Beute machen. Das sehen wir im Fußball. Wenn das IOC eines Tages dem Pferdesport den Stuhl vor die Tür stellt, schauen alle doof aus der Wäsche. Dann spielt es keine Rolle mehr, wer wann und wo die dicken Prämien eingesteckt hat. Und auch nicht, ob jemand, der als Funktionär die ganz große Karriere machen möchte, als Tiger gesprungen, aber als Bettvorleger gelandet ist.

Grüße aus der Soers, wo es ein bissle geregnet hat. Wir sehen uns.