Zugegeben, die Dressurrichter sind auch nur Menschen. Aber mitunter fällt es mir (und wahrscheinlich auch Ihnen) ziemlich schwer, das berühmte Auge zuzudrücken. Etwa heute nach dem Grand Prix von Amsterdam, der achten von elf Stationen auf der Weltcuptour 2023/24. „Littie“ Fry und ihr Everdale siegen verdient und wie erwartet. Eine britische Richterin setzt sie mit 80,534 Prozent überdeutlich auf Platz eins, eine Niederländerin mit 75,870 Prozent „nur“ auf Platz drei. Rang zwei für Isabell Werth und Quantaz mit 76,869 Prozent. Eine Niederländerin gibt ihr 78,043 Prozent für ganz oben; eine andere Niederländerin votet mit 73,370 nur für Platz sechs. Ja wie jetzt?
Das erste Lob des Tages gilt Clip my Horse und der FEI: Seitdem diese beiden Gobalplayer gemeinsame Sache machen, kann man die Grand Prix-Prüfungen im Rahmen des Weltcups kostenfrei sehen. Eine feine Geste, die für mich rein gar nichts mit Geld zu tun hat. Denn auf diese Weise gewinnt man vor allem Vertrauen und gewiss auch neue Kunden.
Also nochmal: „Littie“ Fry und ihr 15-jähriger Rapphengst Everdale aus der niederländischen Zucht kamen als klare Favoriten aufs Viereck – ziemlich geladen und etwas verspannt, jedenfalls zu eng im Hals. Mit der federleichten „Littie“ im Sattel kann Everdale ein ums andere Mal vor Kraft nicht laufen. Doch je länger die Aufgabe geht, desto besser bekommt sie ihn in den Griff. Piaffen und Passagen sind vom Feinsten, die 15 Einer-Wechsel gelingen perfekt. Der Richterspruch sieht so aus: Die Britin Isobel Wessels gibt übertriebene 80,543 Prozent. Die einzige Tagesnote über der 80-Prozent-Marke. Für Mariette Sanders aus den Niederlanden war dieser Ritt nur 75,870 Punkte wert – Platz drei! Für „Littie“ gab’s heute 4050 Euro.
Isabell Werth sattelte zu dieser durchaus wichtigen Station in Amsterdam ihren 14-jährigen Quantaz, ein Spitzenpferd aus der Kategorie Deutsches Sportpferd. Eine durchweg solide Runde brachte Rang zwei mit 76,869 Prozent und einer Prämie von 3000 Euro. Doch halt: Für die Richterin Patricia Wolters aus den Niederlanden war der Ritt lediglich 73,370 Punkte wert, Platz sechs! Für die bereits erwähnte Mariette Sanders hingegen bedeuteten ihre 78,043 Prozent Platz eins. Ich sag‘ mal so: Rund fünf Prozentpunkte Unterschied wie in diesen beiden Fällen – das ist deutlich zu viel! Wer’s anders sieht – bitteschön, gerne.
Patrick Kittel und sein Touchdown gingen mit 75,848 Prozent als Dritte durchs Ziel, Prämie 1950 Euro. Bei dem schwedischen Profi kann man sicher sein: Nach der Schlussaufstellung bricht er jedes Mal in Jubel aus, winkt hektisch, fuchtelt mit den Armen in der Luft umher – es fehlte nur noch, dass er einen Schreikrampf erleidet und seinem Pferd in die Mähne beißt. Ob das auf die Dauer Punkte bringt, wüsste ich zu gerne. Sympathiepunkte beim Publikum auf jeden Fall.
Dahinter zweimal Dänemark und zweimal Niederlande: Zunächst Carina Krüth und ihre Danciera, die heute im starken Trab angaloppierte und dadurch allerhand Punkte verschenkte: Platz vier mit 74,196 Prozent und 1500 Euro Prämie. Sodann Nanna Merrald und Olymbrio mit 73,782 Prozent und 1350 Euro Prämie. Dahinter Marlies van Baalen und Habibi mit 73,609 Prozent, Prämie 1200 Euro. Danach Emmelie Scholtens und Indian Rock mit 72,674 Prozent und 1050 Euro.
Da kommt mir unvermittelt Paris in den Sinn: Wer wird das olympische Trio bilden für die gebeutelten Dänen, wer das Trio für die Niederlande, die doch von alter Stärke weit entfernt ist. Buchstäblich im Hintergrund sieht man Edward Gal und Peter Minderhoud. Aber wer bei den Niederländern wirklich das Sagen hat, vermag ich nicht zu ergründen. Andererseits sehe ich die gebürtige Dänin Anne van Olst, die in den Niederlanden lebt und arbeitet – hoch erfolgreich mit „Littie“ Fry und ihren Hengsten Glamourdale und Everdale.
Morgen gibt’s in Amsterdam die Kür und weitere wichtige Punkte auf dem Weg zum Finale in Riad.