Mit der Selbstkritik ist das so eine Sache. Wir alle sind schwer dafür, finden sie wichtig und unverzichtbar. Vor allem raten wir immer gerne den anderen, selbstkritisch zu sein. Doch sollten wir selbst einmal gefordert sein, uns ehrlich zu machen, dann mogeln wir uns lieber irgendwie so durch.

Wozu diese (fast) philosophische Vorrede? Ganz einfach: Das Nationscupfinale von Barcelona, Anfang Oktober im berühmten Real Club de Polo ausgetragen, sollte der leuchtende Schlusspunkt dieser in jeder Hinsicht so bemerkenswerten Turniersaison 2021 sein. Die sportliche Bedeutung, so hieß es im Vorfeld immer wieder, liege in der zentralen Frage: Wer steigt ab in die „zweite Liga“, wer auf in die „erste Liga“?

Fast konnte man meinen, es handle sich für den einen oder anderen Nationalcoach und/oder Equipechef um eine dramatische Schicksalsfrage – frei nach dem Fußballmotto „Allianz-Arena oder FC Meppen?“ Dabei war schon vor der ersten Startglocke klar, dass dieser mit 1,5 Millionen Euro dotierte Preis der Nationen mit einer Freitagsrunde und einer Sonntagsrunde im Grunde genommen nur der Schlussgalopp einer Rumpfsaison sein würde. Denn mit den Nationenpreisen war’s in diesem Pandemiejahr auch nicht so weit her.

Nach den Spielen von Tokio, der EM in Riesenbeck, dem CHIO in Aachen sowie dem Topturnier in Calgary erwartete man gespannt die Startliste für den Freitag, 1. Oktober. Und siehe da: 15 Teams traten an, sie alle unter der bewährten Regel mit vier Aktiven und Streichresultat.

Nur die besten acht dieser ersten Runde sollten zwei Tage später, am Sonntag, das eigentliche Finale bestreiten. Für die Geschlagenen gab’s am Samstag eine „Trostrunde“ – zu trösten gab’s dabei allerdings nicht allzu viel: Usbekistan, Canada, Frankreich, Schweiz, Italien, Großbritannien und Norwegen traf das Schicksal hart. Die mitfavorisierten Eidgenossen, der neue Europameister, scheiterten überraschend, fanden nicht zu ihrer Form, ebenso wenig die Franzosen, die das Jahr 2021 als völlig verkorkst abhaken müssen.

Als man in die „Trostrunde“ ging, wo immerhin 300 000 Euro Dotierung lockten, waren’s plötzlich nur noch fünf Teams, Kanadier und Usbeken traten gar nicht mehr an. Santiago Varela blieb seiner Linie treu – hoch und breit, die Zeit ziemlich knapp. Mit zwei Nullrunden und einem Vierer machten die Briten den Sack zu, ihre Legende John Whitaker musste gar nicht mehr antreten; 70 000 Euro Siegprämie mögen das Team getröstet haben.

Die britischen Kommentatoren vom FEI-TV, Steven Wilde und sein Gast Jessica Kürten, feierten ihre Briten überschwänglich mit „superb and brilliant“. Man hätte meinen können, es handle sich um die Sieger des Finales, nicht um die Gewinner der Verliererrunde.

Wo lagen die Gründe dafür, dass es in Barcelona etwas kurios herging? Nun, der spanische Parcourschef Santiago Varela, für seine Springbahnen in Tokio zurecht in den höchsten Tönen gelobt, hatte in der ersten Runde, mit Verlaub gesagt, keinen guten Tag: Ein Tick zu schwer, die Zeit einen Tick zu knapp – von den vier siegreichen deutschen Reitern kamen drei mit Zeitfehlern ins Ziel, nur Daniel Deusser markierte eine klare Null.

Von den acht besten Teams kamen nur die von Peter Weinberg geführten Belgier ohne Zeitfehler durch, hatten aber fünf Abwürfe und zogen nur wegen ihrer besseren Gesamtzeit ins Finale ein, knappe 16 Sekunden vor den Norwegern.

Schaut man die Aufstellungen der Teams etwas genauer an, so sticht ins Auge: Bei den Briten fehlten Olympiasieger Ben Maher und sein Kumpel Scott Brash, dafür sattelte Altmeister John Whitaker mal wieder unter dem „Union Jack“. Bei den Franzosen brachten Penelope Leprevost und Olivier Robert ihre Tokio-Erfahrungen mit, Gergory Cottard und Marc Dilasser tragen noch wenig bekannte Namen. Die unbekannten Kanadier blieben zu dritt ohne den Hauch einer Chance.

Die unverwüstliche Laura Kraut führte ihr US-Team ins Finale. Die Iren hatte quasi ein Notteam am Start, die Olympiasieger aus Schweden traten immerhin an mit Malin Maryard-Johnsson, Henrik von Eckermann, Rolf-Göran Bengtsson und Engelie von Essen. Reden wir nicht drum herum: Bei den meisten Equipen war Anfang Oktober 2021 die Luft raus! Eigentlich verständlich.

Otto Becker hatte schon in Aachen signalisiert, dass er mit starker Truppe nach Barcelona reisen werde: Daniel Deusser mit Aachen-Siegerin Killer Queen und Europameister Andre Thieme auf Chakaria aus der Tokio-Mannschaft, dazu David Will mit „C4“ und Christian Ahlmann mit Clintrexo.

Im sonntäglichen Finale am Tag der deutschen Einheit, 3. Oktober, ging dann alles ganz schnell und kam anders als gedacht: Bondcoach Rob Ehrens, von der EM mit leeren Händen heimgefahren, triumphierte mit Sanne Thijssen und den drei Mannen Smolders, Greve und Maikel van der Vleuten. 417 000 Euro Siegprämie – quasi ein Volltreffer! Die Iren mit nur einem Strafpunkt dahinter bekamen 251 000 Euro, die Belgier auf Rang drei noch üppige 167 000 Euro.

Otto Beckers Quartett, noch siegreich an der Spitze nach der ersten Runde, kamen nicht in Schwung, sieht man von der Nullrunde für Andre Thieme auf seiner Chakaria einmal ab; 75 000 Euro als Trostpreis. Ottos Kommentar:

„Natürlich ist das ein bitteres Ergebnis. Es fing schon sehr unglücklich an mit Daniels Fehler. Andre war zwar null, aber danach lief nichts mehr. Wir haken das jetzt ab und blicken nach vorn. Das war der Abschluss einer sehr intensiven Saison.“

Uns bleibt an dieser Stelle gar nichts anderes übrig, als dasselbe zu tun. Allerdings nicht, ohne noch dies zu vermelden: Die Italiener müssen aus der Division 1 in die Division 2 absteigen. Was das wirklich, rein sportlich betrachtet, der Sinn des ganzen Turniers in Barcelona? Ehrlich, jetzt?