Was zu befürchten stand, ist eingetreten – weit schneller noch, als ich es für möglich gehalten habe. Nur wenige Wochen nach dem Fall Helgstrand folgt dieser Tage der Fall Cesar Parra. In beiden Fällen zeigen verdeckt gemachte Handyfilme und -aufnahmen skandalöse Quälereien diverser Pferde in der täglichen Ausbildungs- und Trainingsarbeit. Unter dem Sattel und an der Hand, sprich Longe, werden Pferde aus dem Beritt von Cesar Parra geknebelt und gedemütigt. Ein mutmaßlich Deutscher Berufsreiter mit Stensbeck-Auszeichnung soll aktiv daran beteiligt gewesen sein. Die internationale Dressurreiterei sägt an dem Ast, auf dem sie sitzt. Die Dressurreiterei schafft sich ab! 

Der 60-jährige Cesar Parra, ein gebürtiger Kolumbianer mit US-Staatsangehörigkeit, seit zwei Jahrzehnten international unterwegs, ist bei seiner täglichen Arbeit mit den Pferden gefilmt worden. Bereits 2014 hatte man ihn wegen Tierquälerei angezeigt – das Verfahren wurde jedoch letzten Endes eingestellt. Die Beweise hatten offenbar nicht ausgereicht. Jetzt, ein Jahrzehnt später, sind die Beweise evident. Der Weltverband (FEI) hat Parra mit sofortiger Wirkung gesperrt bzw. vorläufig suspendiert, wie es in der Fachsprache heißt. Auf der FEI-Internetseite ist Parra als „suspended“ markiert.

Die Deutsche Reiterliche Vereinigung in Warendorf hat offiziell mitgeteilt, dass sie ermittle, welcher deutsche Berufsreiter auf den Videosequenzen zu sehen sei; man habe bereits Strafanzeige gestellt. Auch der Weltverband ermittelt. Hannes Müller, der Vorsitzende der Bundesvereinigung  der Berufsreiter, schreibt zurecht: „Solche Bilder bringen den ganzen Reitsport in Misskredit. Alle Beteiligten müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Wo bleibt der Respekt dem Tier gegenüber? Gerade wir Berufsreiter sind in besonderer Weise dem Pferd verpflichtet.“

Ich gehe fest davon aus, dass die Bundesvereinigung den mutmaßlich verdächtigen Berufsreiter ausschließen wird, sofern sich die massiven Vorwürfe erhärten und beweisen lassen. Was den Fall Andreas Helgstrand angeht, so dauern die Ermittlungen gegen ihn und sein Team wegen Misshandlung von Pferden in der Trainingsarbeit weiter an. Helgstrand ist bekanntlich vom dänischen Reiterverband aus dem Olympiakader ausgeschlossen und bis Anfang 2025 generell im Turniersport gesperrt worden.

Nach wie vor erscheint mir das Echo auf die massiven Vorwürfe gegen Andreas Helgstrand sehr merkwürdig und geradezu delikat. Nur sehr wenige Kolleginnen und Kollegen haben sein Vorgehen öffentlich gerügt und kritisiert. Während er selbst Besserung gelobt hat und in seinen Ställen und Reithallen Videokameras installieren ließ, um seine Mitarbeiter praktisch zu überwachen, hat einzig Isabell Werth öffentlich Partei für ihn ergriffen: Im Gespräch mit unserer Kollegin Kim Krehling teilte sie mit, aktuell einige Pferde aus dem Helgstrand-Beritt übernommen zu haben. Außerdem betonte sie, bei ihren Besuchen im Stall Helgstrand nie irgendeinen Missbrauch der Pferde erlebt zu haben.

Dieser Tage, so erscheint es im Internet, war Isabell Werth im internationalen Trainingszentrum in Wellington/Florida, um dort einen Lehrgang zu geben, bei dem sie offenkundig auch Pferde vorgeritten hat. Wichtig zu wissen: Der Stall Helgstrand mit seinen Ställen in Dänemark, Deutschland und den USA, dazu die Beerbaum Stables in Riesenbeck, der schwedische Dressurausbilder Patrick Kittel und das internationale Turnier- und Trainingszentrum in Wellington gehören dem niederländischen Hedge Fond Waterland unter dem Namen Global Equestrian Group. Auch der Fonds hat sich bis dato weder zum Fall Helgstrand noch zum Fall Cesar Parra öffentlich geäußert.

Es ist eigentlich ganz unnötig, hier und heute darauf hinzuweisen, dass der internationale Dressursport erneut am Pranger steht. Obwohl es sich ja, wie wir alle wissen, weltweit betrachtet um eine Randsportart handelt, sorgt er immer wieder für negative Schlagzeilen – liefert der stetig wachsenden Zahl seiner Kritiker und Gegner immer wieder schlagende Argumente.

Alle vernünftigen Appelle nützen nichts. Und das seit Jahren. Offenkundig glauben allzu viele im Dressurlager, es genüge völlig, die öffentlichen Angriffe einfach auszusitzen – mit der Zeit werde schon genügend Gras über die Missstände wachsen. Ob Isabell Werth sich und Andreas Helgstrand mit ihrer Haltung einen Gefallen tut, wage ich zu bezweifeln.

Ganz salopp: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s völlig ungeniert! Das glaub‘ ich übrigens nicht. Schon gar nicht angesichts skandalöser, ja widerwärtiger Praktiken im Umgang mit den Pferden. Ich bin gespannt, wann der nächste Skandal auf den Tisch kommt. Viel fehlt jedenfalls nicht mehr, dann ist der Dressursport am Ende.