Wer mich und meine Blogs kennt, der weiß, dass ich ein Faible habe für die Sportgeschichte. Dabei geht’s mir keineswegs nur um hippologische Nostalgie und die Sehnsucht nach der vermeintlich so guten alten Zeit. Vielmehr tun wir heute gut daran, aus dem Rückblick auf die Anfänge, etwa die der Military bzw. der Vielseitigkeit, zu lernen und vernünftige Schlüsse zu ziehen für die zukünftige Entwicklung des Spitzensports. Übermorgen beginnt in der Normandie die 36. Europameisterschaft der Buschreiter. Ihre Anfänge liegen im Jahr 1953. Seither dominieren meistens die Briten – aber nicht immer.
Vom 22. bis 24. April 1953 erlebte Badminton House, der Landsitz des Duke of Beaufort in der Grafschaft Gloucestershire (zu deutsch: Klosterscheuer), dieses allererste kontinentale Championat: 40 Reiter aus sechs Nationen nahmen daran teil, 26 Aktive erreichten das Ziel. Allein 28 britische Reiter standen auf der Startliste, 20 von ihnen kamen in die Wertung. Den Titel sicherte sich der britische Offizier Arthur Lawrence Rook auf Starlight vor seinem legendären Landsmann Frank Weldon auf Kilbarry und dem heute fast vergessenen Schweizer Hans Schwarzenbach auf Vae Victis (lateinisch: „Wehe den Besiegten!“).
Schaut man auf die „ewige“ Siegerliste, so finden wir von 1953 bis heute 23 Titel britischer Equipen! Der erste, wie gesagt, 1953 bei der Premiere. Der 23. im Jahr 2017 im polnischen Strzegom. 19mal siegten britische Reiter*innen in der Einzelwertung. Ich behaupte hier und heute: Das sind Rekorde für die Ewigkeit! Dabei möchte ich auf zwei mir wichtig erscheinende Besonderheiten hinweisen: Bei der EM 1971, damals in Burghley, siegte Anne Mountbatton-Windsor auf Doublet, also Prinzessin Anne, die später auch einige Jahre FEI-Präsidentin war. 2005 siegte ihre Tochter Zara Philipps, heute Tindal, auf Toytown.
Welche Rolle, so ist zu fragen, haben deutsche Buschreiter gespielt in dieser interessanten EM-Geschichte? Schon 1954 gewinnt die deutsche Equipe die Silbermedaille: Wilhelm Büsing auf Trux von Kamax, August Lütke-Westhues auf Hubertus, Klaus Wagner auf Dachs und Max Huck (ein Onkel von Karsten Huck) auf Fockda von Kamax. Den ersten Mannschaftstitel bei einer EM feierten die Deutschen 1959 am Harewood House: August Lütke-Westhues auf Franko, Siegfried Dehning auf Fechtlanze, Reiner Klimke auf Fortunat und Ottokar Pohlmann auf Polarfuchs; Letzterer war übrigens der Vater von Barbara Schockemöhle, später verheiratet mit Ludger Beerbaum.
Den nächsten Teamtitel gab’s erst 1973 in Kiew, damals mit Herbert Blöcker auf Albrant, Kurt Mergler auf Vaibel, Horst Karsten auf Sioux und dem vor wenigen Wochen leider verstorbenen Harry Klugmann auf El Paso. Erst 1997 schaffte Bettina Hoy (damals Overesch-Böker) auf Watermill Stream am Burghley House den ersten WM-Titel für Deutschland. Eine deutsche Siegesserie gibt es seit 2011 mit Michael Jung auf Sam, Halunke und Takinou, danach zweimal mit Ingrid Klimke auf dem heuer in Aachen verabschiedeten Hale Bob.
Kurz zurück ins Jahr 1957: Als erste Frau gewann damals die Britin Sheile Willcox in Kopenhagen den Titel auf High-and-Mighty. Zu dieser Zeit waren Frauen in der olympischen Military noch gar nicht startberechtigt! Das muss man sich mal vorstellen! Kommendes Wochenende in Haras du Pin ist Nicola Wilson, die Titelverteidigerin von Avenches 2021 nicht mit dabei.
Wichtig zu wissen: Vor zwei Jahren führte der großartige Chris Bartle Nicola Wilson, Piggy March und Sarah Bullimore zu Gold, Silber und Bronze, dazu logischerweise zum Mannschaftstitel mit Rose Canter, Nicola Wilson, Piggy March und Kitty King. Gleich dahinter unser Quartett: Michael Jung und Ingrid Klimke, Anna Siemer und Andreas Dibowski.
Bevor wir zur aktuellen Tagesordnung in dieser WM 2023 übergehen: In der Saison 2003 gab’s in Punchestown die letzte EM nach den alten Regeln mit Wegestrecken und Rennbahn. 2005 startete man in eine neue Ära ohne Rennbahn und Wegestrecken. Dieses vernünftige neue Format gilt bis heute. Der mit Abstand erfolgreichste Reiter dieses neuen Formats – auch wenn man Weltmeisterschaften und Olympische Spiele hinzurechnet – ist Michael Jung. Die Briten haben einige Jahre gebraucht, um sich von dem in England so populären alten Format zu trennen. Abgesehen von 1953, 1954 und 1955 findet die EM alle zwei Jahre statt.
Wer noch mehr wissen möchte über die Geschichte der Military/Vielseitigkeit, dem empfehle ich einmal mehr die Bücher unseres Schweizer Kollegen Max Ammann. Grüße in die Schweiz!