Reden wir nicht lange um den heißen Brei herum! Soeben hat Charlotte Dujardin, die Olympiasiegerin von London und Rio, auf ihrem zehnjährigen Niederländer Imhotep einen Grand Prix ins Viereck von Riesenbeck gezaubert: 82,422 Prozentpunkte. Das ist nicht nur die Führung für den Augenblick (12 Uhr mittags), sondern das ist der Sieg für die Briten in der Mannschafts-EM 2023. Natürlich kann, wo Pferde sind, von einer Minute zur anderen alles ganz anders kommen: Es ist aber unwahrscheinlich, dass Jessica von Bredow-Werndl mit ihre Dalera den Rückstand aufholen und überbieten kann, denn „Littie“ Fry und ihr Glamourdale werden die 80-Punkte-Marke mit Sicherheit ebenfalls überspringen. 

Nach seinem Grand Prix als dritter Reiter im deutschen Team sagte Frederic Wandres: „Diese 77,888 Prozent sind meine persönliche Bestnote in einem Grand Prix. Das zeigt, wie Bluetooth sich in den vergangenen Monaten verbessert hat. Ich habe heute ganz bewusst nicht zu viel riskiert, denn es ist bei ihm ein schmaler Grat: Wenn ich von ihm nur einen Tick zu viel verlange, dann wird er nervös. Das muss ich unbedingt vermeiden.“

Was den Bereiter aus dem Stall von Uli Kasselmann auszeichnet, das ist seine präzise, absolut professionelle Reiterei. Sein Pferd geht stets geschlossen, nicht zu tief im Genick, nahezu ideal in der Anlehnung. Auch heute glückte ihm ein fehlerfreier Ritt. Ungeachtet der aktuellen EM geht sein Blick bereits voraus: „Piaffe und Passage sind schon sehr gut, es wird aber noch besser werden und mir übers Jahr noch mehr Punkte bringen.“ Meinem Gefühl nach wusste Fredric zu dieser Minute bereits, dass es heute für ihn und sein Team „nur“ Silber geben würde.

Ich persönlich, offen sei’s gesagt, hatte mir von ihm einen etwas offensiveren Ritt gewünscht. Ich verstehe jedoch sein Argument, den 13-jährigen Oldenburger Wallach nicht zu sehr unter Druck zu setzen. Wandres, das ist heute klar geworden, hat nur ein Ziel vor Augen: die Spiele von Paris in einem Jahr. Der heutige Tag ist für ihn nur eine Durchgangsstation.

Als man Charlotte Dujardin mit ihrem zehnjährigen Niederländer Imhotep auf dem Abreiteplatz sah, wurde rasch deutlich, welchen Plan sie im Kopf hatte: Konzentrierte Offensive! Noch nicht volle Hacke, kein übermütiges Risiko. Vor allem aber volle Konzentration! Nach der Bestnote des Tages bis dahin sagte sie gestenreich wie immer: „Ich habe mit Imhotep für diese Saison 2023 einen strikten Plan gehabt: Ich hab‘ ihn in Windsor geritten und in Aachen. Unsere Vorbereitung war ganz auf diese EM hier in Deutschland ausgerichtet. Mein Pferde ging besser und besser, hat sich ständig gesteigert. Es ist großartig für mich, zu sehen, welchen Standard er erreicht hat.“

Was Charlotte höflicherweise nicht sagte: Der EM-Sieg auf deutschem Roden wiegt doppelt schwer, gerade im Vorfeld der Olympischen Spiele. Man wird bald sehen, wie dieser Grand Prix heute ausgeht: Jessica startet um 15.57 Uhr, Charlotte Fry um 16.15 Uhr.