Jetzt, am Morgen gegen 9 Uhr früh, brennt die Sonne bereits über dem Tecklenburger Land – die Meteorlogen haben für Riesenbeck und Umgebung bis zu 32 Grad Celsius vorhergesagt. Na, das kann ja heiter werden! Allerdings, liebe Leserinnen und Leser, meine ich damit keineswegs die wachsende Gefahr, sich einen Sonnenbrand oder gar einen Hitzschlag zu holen. Heute müssen „unsere“ Dressurstars und ihre Fans leider mit einer Niederlage rechnen. Denn das britische Team um ihren Meister Carl Hester liegt bei der 31. EM seit 1963 bereits in Führung – zwei „Granaten“ stehen noch aus: Charlotte Dujardin und „Littie“ Fry. Frederic Wandres und Jessica von Bredow-Werndl werden es schwer haben, dagegen anzukommen. 

In den Annalen des europäischen Dressursports steht es geschrieben: 25mal haben deutsche Equipen den Mannschaftstitel gewonnen, zuletzt vor zwei Jahren auf dem Hof Kasselmann in Hagen: In der Besetzung Dorothee Schneider auf Faustus, Helen Langehanenberg auf Annabelle, Isabell Werth auf Weihegold und Jessica von Bredow-Werndl auf Dalera ließen sie die Briten und die Dänen hinter sich. Jessica sicherte sich danach beide Einzeltitel.

Sehr wahrscheinlich wird das britische Team von 2021 heute Abend als neuer Europameister auf dem obersten Treppchen stehen: Carl Hester, Charlotte Dujardin, Charlotte Fry und Gareth Huges – allerdings mit anderen Pferden als damals. Stellen wir uns also auf eine Niederlage ein – die nächste seit dem Fall Totilas von 2015 in der Soers. Damals gab es am Ende nur Bronze für Kristina Sprehe auf Desperados, Isabell Werth auf Don Johnson, Jessica auf Unee und eben Matthias Rath auf Totilas. Davor hatte es weitere Niederlagen gegeben: 2011 in Rotterdam, 2009 vor Schloss Windsor und 2007 in La Mandria.

Wir deutsche Dressurfans sind Niederlagen nicht gewohnt – wir wollen uns auch nicht daran gewöhnen. Heute allerdings tut es ganz besonders weh, denn wir stehen nur zwölf Monate vor den nächsten olympischen Spielen in Paris. Und es zeigt sich, dass wir unsere souveräne Führungsrolle über viele Jahrzehnte leider verloren haben. Die Briten haben von uns gelernt: Sieht man Carl Hester reiten und als Teamchef agieren, so spürt man – bei aller Heiterkeit, die der 56-Jährige ausstrahlt – doch so etwas wie preußische Tugenden: Höchste Professionalität, nichts bleibt dem Zufall überlassen, alles ist präzise geplant. Ein Rädchen greift ins andere. Und auf dem Viereck sieht man an der Art, wie dieses Quartett zu Werke geht, wie stark das Selbstvertrauen ins eigene reiterliche Können und die Qualität der eigenen Pferde ist.

Seien wir ehrlich: Die Niederlage hat sich abgezeichnet: Isabell Werth, die daheim in ihren Pokal- und Medaillenschränken nicht weniger als 21 Medaillen von Europameisterschaften besitzt, kann nicht mehr auf Bella Rose und Weihegold zurückgreifen. Ihr Quantaz ist das, was man einen grundsoliden Arbeiter nennen könnte. Sönkes Rothenbergers Nachwuchshoffnung Fendi hat sich verletzt, Benjamin Werndls Famoso ist wohl außer Form. Helen Langehanenberg und Dorothee Schneider haben den Anschluss an die Weltspitze verloren – hoffentlich können sie bald wieder aufschließen.

Was wir jedoch dringend brauchen, das sind neue, junge Gesichter und neue Toppferde! Ich weiß, dass der Aufbau Jahre in Anspruch nehmen wird. Je früher und je gründlicher damit begonnen wird, desto besser. Wir brauchen Projekte und Perspektiven, wir brauchen private Hilfe und Initiativen. Und wir müssen eine selbstkritische Debatte führen mit konkreten Ergebnissen. Schönreden allein und der feste Glaube, dass es irgendwann schon wieder besser werden wird – das reicht nicht!

Denn die Zeit rast – auch heute: Um 11.57 Uhr startet Frederic Wandres, um 12.24 Uhr Charlotte Dujardin, um 15.57 Uhr Jessica von Bredow-Werndl und um 16.15 Uhr „Littie“ Fry. Wichtig zu wissen: Die 30 punktbesten Einzelreiter aus dem Grand Prix dürfen morgen antreten zum Grand Prix Spezial, der EM in der klassischen Tour. Die wiederum 18 punktbesten haben Startrecht im Kürfinale am Sonntag, allerdings mit einer wichtigen Einschränkung: Pro Nation dürfen nur die besten drei Pferde am Kür-Finale teilnehmen.

Mehr Infos. Der WDR mit seinem Kultreporter Carsten Sostmeier übertragen heute von 15 bis 17 Uhr. Ergebnisse gibt’s wie immer unter www.longinestiming.com/Equestrian.