Morgenstund‘ hat bekanntlich Gold im Mund. Also habe sich die Macher des 37. German Masters lässig und locker gedacht: Wir fangen mit der Qualifikation zum German Master am Samstag um halbacht Uhr früh an, dann bekommen wir unser Tagesprogramm, das bis in die Nacht dauert, bestens durch. Dumm nur, dass das Los nicht gerade kundenfreundlich entschied. Als erste Starterin um Punkt 7.30 Uhr musste ausgerechnet Isabell Werth mit ihrer Stute Superb aufs Viereck. Das war hart, nicht nur für Pferd und Reiterin, sondern auch für die Kundschaft. Als die meisten Fans den Cannstatter Wasen erreichten, war Isabell bereits durch. Jetzt, zwölf Stunden später, ihr Triumpf in der Weltcupkür: Stehende Ovationen, Gänsehaut pur! 10. Kürsieg in Stuttgart mit 86,880 Prozent. Es war der letzte Auftritt des 17-jährigen Emlio beim German Master. Ende des Jahres geht der Braune aus dem Sport. Stand heute. 

Wer allerdings zeitig aus den Federn kam und es zur Schleyerhalle schaffte, der wurde durch einen unerwartet spannenden Rest-Grand-Prix belohnt: Isabell hatte mit 73,435 Prozentpunkten ein gutes Ergebnis vorgelegt, allerdings nicht ohne einige Unebenheiten wie sie typisch sind beim Einsatz eines noch nicht so erfahrenen Pferdes. Also bot sich der Konkurrenz durchaus die Chance, Isabell heute den Sieg streitig zu machen.

Sönke Rothenberger auf dem elfjährigen Matchball fing stark an, sah zeitweise aus wie der Sieger. Sein Rappe punktet in den Verstärkungen, auch in Piaffe und Passage, in der Galopptour und den Seitenhängen. Gegen Ende ließ beim Pferd leider die Konzentration nach, Fehler schlichen sich. Die französische Richterin Sandrine Trimborn tat leider ein Übriges: Sie wertete Sönke bei sich auf Rang sieben hinunter, lag mit nur 70,326 Prozentpunkten deutlich unter den Kollegen, die Matchball einmal als Gewinner, zweimal als Zweiten und einmal als Dritten sahen. Schade.

Dorothee Schneider, endlich mal wieder in Stuttgart am Start, stellte ihren elfjährigen Dayman geschickt vor – man sieht den Wallach auf gutem Weg nach oben. Kompliment! Es wäre ihr zu wünschen, dass sie möglichst bald den Anschluss an die Spitze wiederfindet. Die besagte französische Richterin vertat sich beim Ritt von Matthias Rath mit Thiago ein zweites Mal: Sie wertete den spannungsreichen Ritt des Kronbergers bei sich auf Platz drei – die vier Kollegen sahen es besser, setzten den Totilas-Sohn, der höchst elektrisch blieb und spanungsgeladen, zurecht nur auf den Platz 13.

Ob Mattias morgen seinen Mastertitel aus dem Vorjahr verteidigen kann, erscheint mir eher unrealistisch. Zumindest müssten beide ihre hinderliche Anspannung ablegen. Ob das binnen 24 Stunden geling, werden wir sehen. Heute am späten Nachmittag könnte Isabell Werth mit ihrem Emilio zum zehnten Male die Weltcupkür von Stuttgart gewinnen, morgen zum 17. Male den Titel eines German Masters. Schaun mir mal!

Die Kürnachmittage in der Schleyerhalle sind wirklich legendär. Ausverkauftes Haus, Emotionen auf den Rängen, pure Begeisterung. Pferde und Reiter geben dieses unvergleichliche Gefühl auf die Ränge zurück. Wenn Isabell auf der Schlusstour die „Strippen“ in eine Hand nimmt und im Takt der Passage quasi den Applaus dirigiert – dann fließen auch mal Tränen. Bei ihr und ihren Fans. Seitdem die wissen, dass Isabell ihre Karriere nicht so rasch beenden wird, scheint ihre Popularität stärker als je zuvor.

Sie sagt: „Die Atmosphäre hier in Stuttgart war heute einmalig. Mein Ritt glückte mir auf die Sekunde. Emilio ist in Topform. Eventuell reite ich ihm beim Weltcupfinale im April in Riad oder er wird in der Frankfurter Festhalle verabschiedet. Es war heute jedenfalls ein Genuss, ihn zu reiten.“ Und mit heiterer Mine fügte sie hinzu: „Ich hab‘ diese italienische Musik mit bedacht gewählt, weil sie zu Emilio passt. Mancher sagt mir, es sei Pizza-Musik!“ Siegprämie für Isabell 12 500 Euro.

Platz zwei nach tollem Ritt für Nanna Merrald auf Don Olymbro mit 82,965 Prozentpunkten. Der Hengst bereits 15jährig, hat aber jede Menge Charisma und Bewegungsstärke. Chapeau! Platzprämie 9000 Euro. Rang drei für den versierten Patrick Kittel auf Bonamour mit 81,340 Prozent, Prämie 7000 Euro. Hinter Emma Karneva und Greet Air auf dem verdienten Platz vier, Prämie 5500 Euro

Jetzt muss Raphael Netz aus dem Stall Werndl in Aubenhausen belobigt werden: Toller, konzentrierter Ritt mit Camelot. Prämie 3600 Euro. Aber wichtiger als das war der Auftritt selbst. Raphael hat sich ins Gedächtnis der Leute geritten, wurde zurecht bejubelt als wollten die Zuschauer sagen: Dich wollen wir bald wiedersehen, dir drücken wir die Daumen für eine große Karriere in der Zukunft. Das sind für mich magische Momente, die einer Karriere Flügelverleihen können. Es wäre nicht das erste Mal, dass solch eine Energie von Stuttgart ausgeht.

Am Ende noch kurz der Block auf die aktuelle Punkteliste nach dieser dritten von elf Stationen im  Kürweltcup 2023/24: Patrick Kittel führt mit 68 Punkten vor Nanna Merrald mit 51, Morgan Barbancon mit 41 und Raphael Netz mit 39 Zählern. Dahinter dann Diana Porsche, Alexandre Ayache, Katharina Haas, Antonia von Dungeren und Andreas Helgstrand. Bis zur elften und letzten Station im März in Herzogenbosch ist es noch lange hin.

Schönen Abend allerseits aus der Schleyerhalle.