Die Sieger zuerst: Schweden gewinnt zum ersten Male eine EM im Springreiten, gefolgt von den Iren und den sensationell starken Österreichern. Letztere qualifizieren sich für Paris, ebenso Spanier und Schweizer. Nach dem Ausfall von Marcus Ehnings Stargold müssen Otto Becker und seine Equipe mit dem undankbaren Rang vier vorlieb nehmen. Im Einzel bleibt der 55-jährige Schwede Jens Fredricson mit seinem Markan Cosmopolit an der Spitze des Feldes. Philipp Weishaupt belegt mit Zineday Rang sechs, Einzelreiter Christian Kukuk auf Mumbai Platz neun, Jana Wargers mit Limbridge Platz 21. Wargers teilt am Abend mit, dass sie am Sonntag nicht mehr antreten wird.
Der entscheidende Tag in der 37. seit 1957 EM begann am Morgen mit einem Nackenschlag für Deutschland. Otto Beckers Kommentar: „Marcus hat sein Pferd abgeritten – der Hengst trabt gut, lahmt nicht. Aber Marcus sagt, er habe ein komisches Gefühl.“ Womöglich, so heißt es später, habe sich Stargold eine Zerrung zugezogen, als er später beim Satteln gestiegen ist. Wie auch immer: Marcus Ehning zieht seinen Hengst vom Start zurück – er hätte als erster deutscher Reiter antreten sollen.
Allen ist klar, was das fürs Team bedeutet: Für die in Führung liegende Mannschaft fallen alle drei ausstehenden Ritte ins Gewicht – das Streichergebnis ist aufgebraucht. Schließlich entwickelt sich das Finale um den EM-Titel 2023 wie immer: Eine Zitterpartie für alle Teilnehmer, ein ständiges Auf und Ab der Rangfolge. Nix für schwache Nerven! Man sieht einige der Pferde bereits müde auf der dritten Runde. Die Konzentration lässt nach. Fehler häufen sich, elf Nullrunden sind zu verzeichnen bei 45 Startern. Immerhin.
Philipp Weishaupt überzeugt einmal mehr mit seinem Zineday: Ein vermeidbarer Abwurf, der die beiden zurückwirft auf Platz sechs mit 4.31 Zählern. Philipp sagt frustriert: „Es läuft überhaupt nicht. Wenn Marcus ausfällt, hilft uns nur ein Wunder!“ Und dann besinnt er sich und sagt: „Ab jetzt reitest du für dich selber!“ Das klingt wie eine Erlösung. Aber enttäuscht ist Philipp Weishaupt, das kann man nicht überhören. Das Wunder bleibt leider aus.
Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, aber auch mir, erspare ich das ständige Auf und Ab nach jedem Ritt. Jana Wargers zeigt auf ihrem Limbridge erstmals im großen Wettkampf etwas Nerven, kommt mit zwei Abwürfen ins Ziel. Tja, so war das nicht gedacht. Alle Last fällt nun ausgerechnet auf Gerrit Nieberg und seinen Ben, die am ersten Tag 16 und gestern 12 Punkte hatten. Eine Nullrunde brächte dem Team die Bronzemedaille – am Ende ist’s ein Abwurf: Gerrit hat sich gesteigert, aber es ist unterm Strich eben doch ein Abwurf zu viel.
An der Spitze des Feldes zeigen die Schweden, Olympiasieger und Weltmeister, wenn auch in anderer Zusammensetzung: Vier Nullrunden! Das kommentiert sich selbst. Die letzte zeigt uns der mittlerweile 61-jährige Rolf-Göran Bengtsson auf dem Holsteiner Verbandshengst Zuccero. Endergebnis für alle vier: 9,51 Punkte. Die Iren folgen mit 18 Punkten, darunter Eoin McMahon aus dem Stall Beerbaum mit Ludgers Schimmelstute Mila. So verhilft man anderen zu Medaillen. Max Kühner, einer der besten Stilisten der Welt, führt sein Quartett zu Bronze – Sensation für die Österreicher! Kompliment!
Ein gebrauchter Tag übrigens auch für die Eidgenossen, bei denen nur Steve Guerdat, der Olympiasieger von 2012 in London, mit zwei „Nullern“ überzeugt. Martin Fuchs enttäuscht, ebenso Edouard Schmitz. Die Titelverteidigung ist futsch. Am Ende nur Rang sechs. Immerhin haben sie das Ticket für Paris – das bedeutet, Soll erfüllt. Manchmal muss man die Dinge eben pragmatisch sehen. Die weiteren Teams bis zu Rang zehn: Niederlande, Frankreich, Großbritannien und Italien.
Von hier an blicken wir nach vorn: Am Sonntag dürfen die punktbesten 25 Pferde ins Finale, in der zweiten Runde nur noch zwölf. Die führenden fünf liegen innerhalb eines Abwurfs. Wenn Philipp Weishaupt einen goldenen Sonntag erlebt, kann er in die Medaillenränge vorstoßen. Dazu braucht’s Nullrunden und – so ist nun mal der Sport – einiges Pech bei den Konkurrenten. Christian Kukuk kann sich weiter profilieren. (Mit ihm im Team sähe die Sache heute anders aus. Aber hätte, hätte Fahrradkette!)
Mein vorläufiges Fazit dieser EM in Mailand: Gerrit Nieberg hat seine Nominierung leider nicht rechtfertigen können. Was mit Ehnings Hengst Stargold tatsächlich ist, werden die kommenden Tage zeigen. Jana Wargers hat sich von der misslichen Situation leider beeindrucken lassen – sie bleibt aber für Paris hoffentlich erste Wahl. Christian Kukuk hat einmal mehr überzeugt. Aber Otto Becker hat vollkommen recht: „Uns fehlen ein bis zwei Paare mit Toppferden, die fehlerlos gehen können, gerade wenn’s ganz schwer wird.“
Vergessen wir nicht: Morgen, am Ruhetag, müssen die 25 Finalpferde zum Vet-Check. Hoffen wir mal, dass da alle frisch und munter durchkommen.