Der neue Europameister der Springreiter heißt Steve Guerdat. Der 41-jährige Schweizer, Olympiasieger von London 2012, steuerte vor wenigen Minuten seine zehnjährige französische Stute Dynamix de Belhemme im fünften und entscheidenden Schlussparcours dieser 37. EM seit 1957 erneut ohne Fehler ins Ziel. Ein verdienter Sieg für den bescheidenen Eidgenossen. Chapeau! Riesenjubel aus deutscher Sicht: Philipp Weishaupt aus dem Stall von Ludger Beerbaum präsentierte mit dem erst neunjährigen Westfalen Zineday das auffälligste junge Pferd dieser EM und erkämpfte sich durch drei fehlerfreie Runden die Silbermedaille – sein größter Einzelerfolg nach dem Gewinn des Großen Preises von Aachen im Jahr 2016.

Die Bronzemedaille ging an den 45-jährigen Franzosen Julien Epaillard auf der zehnjährigen französischen Stute Dubai du Cedre. Vor dem alles entscheidenden fünften Parcours dieser EM hatte Philipp Weishaupt gesagt: „Jetzt wird es so langsam mega spannend! Jetzt geht es so langsam um die Wurst!“ Weishaupt räumte ein, dass sein noch unerfahrenes Pferd „in diesem vierten Parcours auf der letzten Linie ziemlich wackelig daherkam. Solch ein ,Seitenwind‘ ist typisch für die jüngeren Pferde. Aber um seine Kraft brauche ich mir keine Gedanken zu machen.“

Nur vier der letzten zwölf EM-Finalisten schafften in diesem von Uliano Vezzani gebauten Kurs fehlerfreie Runden: Als vierter im Bunde Ben Maher, der Olympiasieger von Tokio 2021. Hingegen geriet der bis dahin souverän führende Schwede Jens Fredricson auf Markan Cosmopolit auf den letzten beiden Runden durch jeweils einen Abwurf  ins Hintertreffen, musste am Ende mit Rang fünf zufrieden sein, gefolgt von seinem Landsmann Henrik von Eckermann auf Iliana.

Ludger Beerbaum, nach dem Ende seiner internationalen Karriere als Coach seiner „Jockeys“ in Mailand vor Ort, feierte an diesem EM-Wochenende einen großen persönlichen Erfolg: Philipp Weishaupt ist in seinem Springstall in Riesenbeck seit Jahren die Nummer eins. Kollege Christian Kukuk auf dem elfjährigen Mumbai musste den schwindenden Kräften seines Schimmels im Finalspringen der punktbesten 25 Pferde Tribut zollen – Platz 14 in der Endabrechnung. Einen sehr guten Rang neun belegte Beerbaums irischer Bereiter Eoin McMahon auf der Schimmelstute Mila, mit der Ludger Beerbaum seine Karriere vor wenigen Wochen beendet hatte. Nicht zu vergessen: Henrik von Eckermann war einige Jahre die Nummer eins im Springstall Beerbaum.

Nach seinem Erfolg sagte Philipp Weishaupt: „Ich bin mehr als happy! Leider hatte ich diesen Scheißfehler im Nationenpreis, sonst könnte ich heute ganz oben stehen. Aber ich könnte heute nicht glücklicher sein als jetzt.“ Dem neuen Europameister zollte er Anerkennung und Respekt: „Steve hat ja auch so eine junge Stute – er hat vier Nullrunden gezeigt. Das war großartig. Bei Olympia in Paris dürfen ja nur drei Leute antreten, es gibt kein Streichergebnis. Dort müssen die Besten antreten, die wir haben.“

Der wichtige Blick in die Annalen: Der neue Europameister Steve Guerdat steht würdig in der Reihe der erfolgreichen EM-Sieger der Eidgenossen: Martin Fuchs siegte auf Clooney 2019 in Rotterdam, der unvergessene Wille Melliger siegte 1993 auf Quinta in Gijon!

Nach dem versöhnlichen Ende dieser EM in Mailand können Bundestrainer Otto Becker und seine Equipe zufrieden sein – alles in allem. Seine Erkenntnisse im Blick auf die Olympischen Spiele von Paris 2024: Zineday besitzt fraglos das Potential, das ein Olympiapferd benötigt. Hoffentlich bleibt der Wallach übers Jahr im Stall Beerbaum und im Beritt von Philipp Weishaupt. Hoffentlich bleiben Pferde wie Jana Wargers‘ Limbridge und Marcus Ehnings Stargold ebenfalls im bestehenden Besitz. Ebenso andere Pferde, etwa Mumbai und Chakaria.

Kurz und knapp: Der Ausverkauf deutscher Toptalente auf vier Beinen muss gestoppt werden. Das ist ein Appell – man könnte auch sagen ein Hilferuf!

Zum Abschluss der Bundestrainer: „Meine EM-Bilanz – mit der Silbermedaille von Philipp ist es ein versöhnlicher Abschluss für uns. Zineday hat sich hier als Pferd für die Zukunft gezeigt. Er ist sensationell gegangen für sein Alter. Auch Christian hat sehr gut geritten.“