Der amerikanische Reiterverband, kurz USET, hat via Internet praktisch dazu aufgerufen, sich bei ihm zu melden, wenn es sachdienliche Hinweise auf die tierquälerische Reiterei und andere Machenschaften des US-Dressurreiters und Ausbilders Cesar Parra gebe. Die Ermittlungen gegen den 60-Jährigen laufen aber nicht nur in den USA, sondern auch beim Weltverband FEI sowie bei der FN in Warendorf, wenn es um die beteiligten Deutschen geht. Zugleich melden sich erste, anonyme Stimmen von Leuten, die vor Jahren bei Parra geritten und dabei seine widerlichen Methoden unmittelbar erlebt haben.

Wichtig zu wissen an dieser Stelle: Die jetzt via Internet in aller Welt bekannt gewordenen Videos und Fotos, auf denen man die brutalen Trainingsmethoden im Stall von Cesar Parra sehen kann, stammen nach eigenen Angaben vom 12. Juli 2022! Sie sind also gut eineinhalb Jahre alt. Die geschätzten Kolleginnen und Kollegen des in Hamburg erscheinenden Magazins St. Georg haben Dr. Kerstin Klieber und Stefan Sandbrink, Inhaber des Dressurstalles Sandbrink in Mechtersen bei Hannover, als unmittelbar Beteiligte dazu aufgefordert, offiziell Stellung zu nehmen – und diese Stellungnahmen auch veröffentlicht.

Kurz zusammengefasst: Beide bestätigen, dass Cesar Parra sie Anfang Juli 2022 dazu aufgefordert habe, in seinen Stall zu kommen, um bei der Trainingsarbeit mit einem schwierigen Pferd zu helfen, dass Parra bei ihnen erworben hatte. Parra selbst sei überraschender Weise gar nicht anwesend gewesen. Bereits nach kurzer Zeit habe sich das Pferd unter dem Sattel und an der Longe massiv gewehrt, sei gestiegen und beinahe nach hinten gestürzt.

Um die drohende Gefahr für die Reiterin und für sich selbst abzuwenden, habe man mittels Peitsche versucht, das Pferd vom Steigen abzubringen und in eine Bewegung nach vorne zu bringen, was schließlich gelungen sei. Beide betonen ausdrücklich, dass derlei Methoden in keinem Fall Bestandeile ihrer eigenen Ausbildungs- und Trainingsarbeit von Reitern und Pferden seien. Beide fühlen sich zu unrecht an den Pranger gestellt – Hetze und massive Drohungen gegen sie in Foren des Internets hätten unerträgliche Formen angenommen.

Es ist das gute Recht von Stefan Sandbrink und seiner Partnerin, die Vorkommnisse vom Juli 2022 aus ihrer persönlichen Sicht darzustellen. Das gilt übrigens auch für Leute, die in den vergangenen Jahren bei Cesar Parra in den USA mitgearbeitet und geritten haben. Ihre direkten Schilderungen bestätigen die gegen Parra erhobenen massiven Vorwürfe. Es geht dabei nicht nur um die Tierquälerei von Pferden, sondern mutmaßlich auch um sexuelle Übergriffe sowie um arbeitsrechtlichen Missbrauch zum Nachteil von angestellten Arbeitern.

Das alles bringt mich hier und heute zu der für mich zentralen Frage: Wo bleibt eigentlich die Zivilcourage? Weshalb haben alle diejenigen, die sich jetzt mit beklemmenden Schilderungen melden, Cesar Parra nicht sofort angezeigt? Stefan Sandbrink und Kerstin Klieber hätten es im Sommer 2022 tun können, unmittelbar nach dem Skandal mit einem ihrer ehemaligen Verkaufspferde. Haben sie davor zurückgescheut, um einen Kunden nicht zu verprellen? War ihnen wirklich unbekannt, welche Methoden Cesar Parra über Jahre hinweg angewandt hatte? Man wusste doch sehr genau, dass es gegen Parra vor zehn Jahren erstmals Anschuldigungen wegen Tierquälerei gegeben hatte.

Das Verfahren wurde seinerzeit eingestellt. Ich finde, die genauen Umstände von damals sollten noch einmal untersucht und dargestellt werden. Die internationale Dressurszene, so stellt es sich mir heute dar, wusste sehr genau, wer dieser Cesar Parra in Wirklichkeit ist. Aufschlussreich ist für mich übrigens auch, dass sich Parra bis dato noch nicht zu Wort gemeldet hat, um Stellung zu nehmen. Die Anschuldigungen gegen ihn sind massiv. Sie beschuldigen Parra, kriminell gehandelt zu haben.

Es ist für meine Begriffe sehr bedauerlich, dass die widerwärtigen Praktiken des Reiters Cesar Parra erst jetzt offenkundig werden. Äußerst problematisch finde ich die Tatsache, dass die amerikanische FN in ihrem aktuell geltenden Regelwerk gar keine Möglichkeit besitzt, massiv gegen Parra vorzugehen: Die Regeln beziehen sich nämlich nur auf Verfehlungen, die auf Turnieren begangen werden, nicht aber auf Verfehlungen, die in den privaten und heimischen Anlagen begangen werden. Die fehlenden Paragraphen sollen, wenn ich es recht verstanden aber, rasch erarbeitet und wirksam gemacht werden. Ansonsten bleibt festzuhalten, dass das FBI gegen Parra ermittelt. Der Skandal um diesen Mann geht gerade erst los.