Ingmar de Vos, der Präsident unseres Weltverbandes, der FEI, findet einmal mehr erhebende, ja zu Herzen gehende Worte: „Wir freuen uns über die Ankündigung des IOC, dass die Pferdesportdisziplinen, die bei Olympia in Paris 2024 ausgetragen werden, auch im Sportprogramm für die Spiele 2028 in Los Angeles enthalten sein werden. Der Pferdesport ist seit 1912 Teil der Olympischen Spiele. Dies ist erst der Anfang. Wir stellen sicher, dass wir den Finger am Puls der Zeit haben, nicht nur im Blick auf 2028, sondern auch auf Paris 2024, das vor der Tür steht!“ 

Wer mich ein wenig kennt, der weiß, dass ich das Hurra mit den drei Ausrufungszeichen nicht gar so ernst und pathetisch meine, wie es die Überschrift erscheinen lässt. Zu überraschend erreicht uns die Nachricht, dass wir auch für die Spiele von Los Angeles 2028 quasi qualifiziert sind. Denn wir erinnern uns alle: Wie oft und wie eindringlich haben die Propheten der hippologischen Philosophie in den letzten Jahren den Teufel an die Wand gemalt! Der weltweite Sport mit den Pferden stehe praktisch am Abgrund, es fehle nur noch ein kleiner Schritt, nur noch ein Unglücksfall, nur noch ein skandalöses Dopingvergehen – dann werde das allgewaltige IOC den Daumen senken, den Reitsport aus dem olympischen Programm streichen und lieber harmlosen und gänzlich ungefährlichen Ballspielen die olympischen Weihen verleihen.

Ich habe mich immer gefragt und tue das hier und heute wieder: Wo ist eigentlich unser Selbstvertrauen geblieben? Seit 1912 gehört die Reiterei zum olympischen Programm! Unser Sport hat sich, im Gegensatz zu manch anderem, etwa dem Modernen Fünfkampf, grundlegend verändert und der zunehmend kritischen Sicht der Öffentlichkeit angepasst. Die einst so martialische Military gibt es nicht mehr, das zeitgerechte Eventing arbeitet ständig daran, mehr und mehr Sicherheit zu erlangen; zugegeben, da bleibt in den nächsten Jahren noch einiges zu tun. Also ein Dauerthema.

Schauen wir auf die Dressur: Die Reiter und Reiterinnen der alten Schule haben sich lange Zeit echt schwer getan, die Tendenz ihres Sports weg von den starren Aufgaben hin zur individuellen Kür gut zu heißen und zu unterstützen. Längst sind wir soweit: Das olympische Einzelgold wird in der Kür entschieden!

Und was das Springen angeht, so sehen wir auch dort wichtige und richtige Veränderungen: Die Parcours sind weitaus technischer als früher, wo man im Grunde nur das reine Springvermögen der Pferde abgeprüft hat. Die Sprünge sind nicht mehr so hoch und breit wie ehemals. Der Grips des Reiters und das präzise Gymnastizieren der Pferde sind gefragt. Das Mächtigkeitsspringen hat man zurecht abgeschafft – die Volksbelustigung früherer Tage, die Kirmesstimmung am späten Samstagabend unter Flutlicht, die gibt’s nicht mehr. Da hat sich die Vernunft durchgesetzt, selbst wenn das manche  Turniermacher der alten Schule ganz anders sehen als ich.

Nochmal einige Zitate von Ingmar de Vos aus den letzten Tagen: „Mit einem so starken Erbe und dem Enthusiasmus für den Sport in den USA freuen wir uns darauf, erfolgreiche und mitreißende Reiterspiele zu veranstalten, die sich auf die Zukunft und die Werte konzentrieren, die ihn in der Sportlandschaft einmalig machen. Das ist erst der Anfang.“

Apropos Anfang. Seit dieser Woche, seit der IOC-Tagung im indischen Mumbai (früher mal Bombay), wissen wir, welche Sportarten bei Olympia 2028 in Los Angeles neu ins Programm kommen: Kricket beispielsweise, das von der britischen Kolonialmacht eingeführte Spiel, das in Indien bis heute der Nationalsport schlechthin ist. Eine Konzession also an den indischen Kontinent, das mit 1,4 Milliarden Menschen bevölkerungsreichste Land der Welt.

Aber es kommt noch besser: Als Hommage an die Amerikaner und ihre zweiten Spiele in Los Angeles nach 1984 erhalten populäre Ballsportarten die olympischen Weihen: Softball, Baseball, Flag Football, Squash und Lacrosse, das 1904 und 1908 schon einmal olympisch war. Back to the roots kann man da nur sagen.

Ach übrigens, der angeblich so Moderne Fünfkampf ist auch 2028 wieder dabei, dann allerdings ohne das blöde Reiten. Statt dessen müssen die Aktiven zu Fuß einen kniffligen Hindernisparcours bewältigen wie man ihn, TV-gerecht aufgemotzt und inszeniert, ab und an in Privatsendern wie etwa RTL zu sehen bekommt. Ich erinnere mich noch gut daran, wie der Präsident der deutschen Fünfkämpfer nach seinem Desaster von Tokio über die Vielseitigkeit hergezogen hat. Nun jammert derselbe Herr Dörr darüber, dass seine extreme Randsportart womöglich bei Olympia 2032 in Australien nicht mehr ausgetragen wird. Und 2036 möchten die Inder die Olympischen Spiele veranstalten.

Zum Schluss für heute noch kurz mein Blick zurück auf das historisch so wichtige Jahr 1912: Es sei, so schreibt Max Ammann, der treffliche Chronist unseres Sports, damals dem Drängen schwedischer Offiziere zu danken gewesen, dass das Reiten zu den Spielen in Stockholm neu aufgenommen wurde. 1896, bei den ersten Spielen der Neuzeit, sei das nicht gelungen, weil die Griechen kein Interesse am Pferdesport hatten. Das reitsportliche Programm anno 1912: Dauerritt über 55 Kilometer, Querfeldein über fünf Kilometer, Rennbahn mit Hindernissen über 3500 Meter, Parcours mit 15 Hindernissen, Dressuraufgabe. Das alles verteilt auf fünf Tage! Nur Militärs durften teilnehmen!

Wichtig zu wissen: Eine Springmannschaft bestand seinerzeit aus vier Reitern, nur die besten drei wurden gewertet! Damals waren die Verantwortlichen schon so klug, ein Streichresultat zur Schonung der Pferde einzuführen. Bei Olympia gibt’s das leider nicht mehr. Heute zeigt sich, wie weit wir in dieser Frage gekommen sind!