„Diese Historie und dieser Park – eine traumhafte Anlage. Das macht Spaß – im nächsten Jahr werden wir wieder dabei sein!“ Mit diesen Worten zitiert die Pressestelle des Dressurfestivals in Ludwigsburg bei Stuttgart die „Dressur-Königin“. Dabei erlebte sie dort Höhen und Tiefen: Am Donnerstag wurde sie disqualifiziert, weil ihr Hengst Zeffirelli leicht aus dem Maul blutete, am Freitag siegte sie mit dem 16-jährigen Emilio im Grand Prix.
Für Isabell Werth und alle anderen außerhalb von Baden-Württemberg, die nicht wissen, was es mit dem idyllisch gelegenen Seeschloss Monrepos auf sich hat, erkläre ich hier und heute, welche Bedeutung es besitzt, historisch betrachtet. Die interessierten Leserinnen und Leser werden staunen, da bin ich mir ganz sicher. Übrigens: Wer neugierig ist, wer es ganz genau wissen möchte, der kann das einstige Jagdschloss im Besitz der Adelsfamilie derer zu Württemberg, jederzeit besuchen. Näheres gibt’s – wie immer – im Internet.
Nun weit zurück in die Vergangenheit: Der legendäre Herzog Karl Eugen von Württemberg ließ anno 1760, etwas außerhalb seiner Residenz in Ludwigsburg gelegen, ein Lustschloss bauen, verlor jedoch, wie es seine unstete Art war, schon kurz darauf wieder die Lust daran – der Bau verkam. Erst 1804 machte sein Nachfolger, König Friedrich I. von Württemberg, sozusagen Nägel mit Köpfen. Er ließ das kompakte Palais an einem künstlichen See im Stil des Klassizismus neu errichten, darum herum einen Landschaftsgarten nach englischem Vorbild. Hinzu kam ein landwirtschaftliches Gut nebst einem Tierpark.
1926 gründeten 30 pferdebegeisterte Ludwigsburger Bürger einen Reiterverein und starteten noch im selben Jahr erstmals beim „Monrepos-Turnier“, das es bereits seit 1921 gab. Alte Fotos aus den zwanziger Jahren zeigen, dass man seinerzeit Dressur und Springen ritt, wenn auch in völlig anderer Form als heute: Für die Jugend schrieb man Abteilungsreiten aus, die württembergischen Kavalleristen traten im Mächtigkeitsspringen gegeneinander an. Jahr für Jahr kamen immer mehr Zuschauer zu den Reitertagen vor dem Schloss. 1933 sollen es sogar 10 000 gewesen sein.
In den Annalen des Reitervereins liest man über das Turnier des Jahres 1931 folgende Anekdote: „Major Ott und Oberleutnant Fink zogen die Fäden der Regie – mit einem Programm, das voller Pointen steckte, wussten sie die Besucherzahl noch weiter zu steigern, so dass der Turnierplatz fast aus allen Fugen zu geraten drohte. Einen besonderen Gag hatte man sich bei den Springprüfungen einfallen lassen, denn bei dreimaligem Ungehorsam eines Pferdes blies ein Hornist recht sinnvoll ‚Behüt‘ Dich Gott, es wär‘ so schön gewesen!‘ Bei einem Sturz, bei dem Reiter und Pferd getrennt wurden, lautete das Leitmotiv des Hornisten ‚Ach, wie ist’s möglich denn…!‘ Das war Wasser auf die Mühlen derjenigen, denen Schadenfreude stets doppelte Freude bedeutete.“
1931 schätzte man 4000 Zuschauer am Monrepos. 1939, wenige Monate vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, traf man sich zum letzten mal für lange Zeit im Park unter den alten Bäumen. Erst 1950 begann die Tradition der Ludwigsburger Turniere neu – allerdings nicht am Schloss Monrepos, denn dieser historische und denkmalgeschützte Ort reichte nicht aus für Springen und Dressur, für das Gespannfahren und die großen Schaubilder, die zu jedem internationalen Turnier gehörten. Man zog mit dem Reitturnier ins Ludwig-Jahn-Stadion in der Innenstadt – eigentlich eine große Fußballarena mit einer Laufbahn für die Leichtathletik. Auf Anhieb, so steht es in den Annalen, kamen 20 000(!) Besucher. Ludwigsburg avancierte in den fünfziger und sechziger Jahren zu einem der großen internationalen Turniere in Europa. Leider endete 1971 diese Ära.
Ein paar wenige Namen der damals führenden Dressur- und Springreiter mögen genügen: Der legendäre Otto Lörke sattelte im Jahnstadion, dazu seine Schülerin Liselott Linsenhoff, natürlich Josef Neckermann. Nicht zu vergessen der Stuttgarter Großmezger Wolfgang Haug mit Lorlot, Berber und Amtsrat sowie sein Göppinger Kollege Gustav Kümmerle mit seinem Rembrandt. Auch der damals führende schwedische Major Henry St. Cyr nahm teil. Rosemarie Springer, eine der führenden Amazonen jener Zeit, stellte den schwedischen Hengst Lenard vor, einen Apfelschimmel, der enorme Aufmerksamkeit auf sich zog, denn er war der erste spektakuläre schwedische Vererber auf einem deutschen Turnier.
Als junger Bub hab‘ ich mit meiner geliebten Großmutter seit Mitte der fünfziger Jahre die Ludwigsburger Turniere besucht. Die damalige Weltelite der Springreiter habe ich gesehen: HG Winkler und Fritz Thiedemann, den junge Brasilianer Nelson Pessoa, die italienischen Gebrüder d’Inzeo, den amerikanische Starreiter William Steinkraus, die smarte Französin Janou Lefebvre, natürlich Alwin Schockemöhle, später den von ihm entdeckten Gerd Wiltfang und viele andere. Rolf Knecht, der Lokalmatador, bleibt mir unvergessen; er starb vor wenigen Jahren.
Es gab in Ludwigsburg Prüfungen für die ländlichen Reiter und die städtischen Reiter – seinerzeit noch streng getrennt, um eine Chancengleichheit zu erreichen. Die Ludwigsburger Turniere waren ein gesellschaftliches Ereignis ersten Range, die Stadt lud ins große Schloss, das der Volksmund bis heute als „Schwäbisches Versailles“ bezeichnet.
Und heute? Dem nimmermüden Ulli Kasselmann, dem Reiterverein Ludwigsburg, der unweit von Schloss Monrepos seine Anlage hat, und nicht zuletzt der Württembergischen Hofkammer, die die Immobilien und Weinberge der Familie zu Württemberg verwaltet, ist es zu verdanken, dass im September 2021 die Tradition der Monrepos-Turniere wiederbelebt worden ist. Kein Wunder, dass nicht nur Isabell Werth begeistert ist.
Schade, dass das Wetter an diesem letzten Septemberwochenende 2022 nicht so recht mitspielt. Überdies liest man in der lokalen Presse, dass die Stadt Ludwigsburg nach 50 Jahren die Pacht für ihre Anlage im Park am Monrepos womöglich nicht verlängern wird – Gespräche laufen bereits. Die Hofkammer als Eigentümerin ist sehr daran interessiert, die Zusammenarbeit fortzusetzen und natürlich das jährliche Dressurturnier. Hoffen wir also, sich übers Jahr alles zum Guten wendet!
Am nasskalten Samstag Abend, das Schloss Monrepos theatralisch angestrahlt, spielte Isabell Werth einmal mehr ihre ganze Erfahrung aus, zeigte mit ihrem jetzt 16 Jahre alten Westfalen Emilio eine feine Kür, die sie mit 84,125 Punkten souverän gewann vor Benjamin Werndl mit dem 18-jährigen Daily Mirror (82,155) und Dorothee Schneider mit ihrem zwölfjährigen Württemberger First Romance (80,435). Dorothee Schneider war es auch, die am Nachmittag auf dem neunjährigen Quaterline mit 75,19 Punkten die 14. und damit letzte Qualifikation zum Finale um den Burg-Pokal Anfang Dezember in der Frankfurter Festhalle für sich entschied – ihr zweiter Finalist. Kompliment 2022!
Ingrid Klimke und ihr Freudentänzer verfehlten den Sieg und damit den Finaleinzug relativ knapp. Wäre Isabell Werth mit ihrem achtjährigen Hengst Zeffirelli von Blue Hors Zack aus dem Besitz von Sissi Max-Theurer, der Olympiasiegerin von Moskau 1980, in der Einlaufprüfung am Donnerstag nicht disqualifiziert worden wegen „Blood Rule“ – der Dreikampf an der Spitze des Burg-Pokals wäre noch spannender verlaufen.