Heute am Abend schlägt für unsere Nationalkicker die Stunde der Wahrheit. Der Sieg oder die Heimreise? Mindestens ein Tor mehr als Costa Rica. Ansonsten war diese 22. Fußball-WM 2022 nur  eine missglückte Klassenfahrt nach Doha, der Hauptstadt des Wüstenstaates Katar. Apropos Doha: Vom 2. bis 4. März 2023 beginnt just dort einmal mehr die Global Champions Tour der Springreiter. Doch während unsere besten Fußballer und ihr DFB eine Million spenden für die Angehörigen der tödlich verunglückten Bauarbeiter aus Nepal auf den WM-Baustellen in Katar – die Reiter schweigen seit Jahren. Für sie kein Thema? 

Ob Absicht oder reiner Zufall: Einen Tag vor dem Schicksalsspiel für Hansi Flick und seine Männer gibt Jan Tops, der Gründer und Boss der Global Champions Tour und der Global Champions League, einen langen Pressetext heraus über die Stationen seiner Tour im vorolympischen Jahr 2023. 16 Stationen werden es sein, Stand heute. Shanghai, Hamburg und Berlin werden nicht mit von der Partie sein, ganz neu dafür Riesenbeck International (21. bis 23. Juli). Nicht zu vergessen: Im September laden Ludger Beerbaum und sein Team auch zur Dressur-EM.

Wie gesagt, der Tourstart liegt einmal mehr in der katarischen Hauptstadt Doha, wo man vor Jahren auch einmal Dressur veranstaltet hat. Seither aber nicht mehr. Und auch Riyadh, die Metropole von Saudi-Arabien, steht wieder auf dem Plan: 26. bis 28. Oktober. Bis vor gut einer Woche wurde dort noch geritten. Angesichts der weltweiten kritischen Debatten in den vergangenen Wochen und Monaten frage ich an dieser Stelle: Weshalb schweigen unsere Reiter?

Ist ihnen allen völlig entgangen, dass beim Bau der WM-Stadien mindestens 500 Arbeiter ums Leben gekommen sind? Diese Zahl nannte ein hoher katarischer Funktionär erst vor wenigen Tagen. Und laut Amnesty International hat man in Saudi Arabien 2022 mehr als 130 Todesurteile vollstreckt.

Machen wir uns nichts vor: Der Sport ist politisch! Wer das leugnet, der ist meiner Ansicht nach naiv oder ein Heuchler. Wenn Spitzensportler allerdings die Haltung haben, der Zweck heilige jegliche Mittel – Hauptsache die Kasse stimmt? Diesen Eindruck kann man gewinnen, wenn man bei Jan Tops‘ nachschaut, wer 2022 wie viel an Geldpreisen gewonnen hat: Die Berlin Eagles knapp 1,8 Millionen Euro, die Stockholm Hearts knapp 1,2 Millionen, die Prague Lions 825 000 Euro, die Shanhai Swans knapp 625 000 Euro und die Paris Panthers etwas mehr als 560 000 Euro.

Ach übrigens: Versucht man, auf der Internetseite der Global Touren die Regeln für das Teamspringen aufzurufen – leider nix zu machen. Man landet unter „not found“. Auch fehlt im aktuellen Pressetext jegliche Angabe über die Preisgelder für die neue Saison 2023. Ich habe, sorry, noch immer nicht kapiert, wo das viele Geld tatsächlich herkommt. „Für die Besten das Beste!“ Diesem Leitmotiv folgt Jan Tops seit den Anfängen seiner Tour 2007 und der Zusammenarbeit mit dem Schweizer Uhrenkonzern Swatch und seiner Marke Longines.

Als heiterer Schwabe mit Wohnsitz in Stuttgart komme ich an dieser Stelle nicht umhin, noch einmal kritisch darauf hinzuweisen, dass Jan Tops seine Playoffs 2023 in der o2-Arena von Prag exakt und absichtsvoll auf den Novembertermin des German Masters in der Schleyerhalle gelegt hat. Man verweist mit Achselzucken darauf, dass die FEI derlei angestammte Termine nicht mehr schützt wie früher. Soll die Konkurrenz doch sehen, wo sie bleibt.

So erleben wir mehr und mehr die internationale Springreiterei als eine Gesellschaft, in der es immer weniger um Fairness, dafür mehr und mehr um Ellenbogen geht. Allerdings gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass es in dieser wohlhabenden Gesellschaft doch den einen oder die andere gibt, die gerade in diesen furchtbaren Zeit auch an diejenigen denkt, denen es dreckig geht: Etwa den Hinterbliebenen Frauen und Müttern in Nepal, deren Männer und/oder Söhne auf den Baustellen in Katar tödlich verunglückt sind. Nehmt euch ein Beispiel an Thomas Hitzelsberger, dessen Dokumentarfilm über die Opfer von Doha international Eindruck hinterlassen hat.

Falls nun jemand auf die Idee kommt, mir vorzuhalten, Deutschland kaufe doch demnächst Flüssiggas aus Katar, den antworte ich: Über diese causa gibt’s seit Wochen zurecht eine kritische Debatte. Aber in der internationalen Reiterei wird gar nicht diskutiert – man schweigt. Das ist peinlich.