Luciana Diniz ist 52 Jahre alt, Rodrigo Pessoa ist 50. Wer den internationalen Springsport verfolgt, der kennt die beiden seit langer Zeit. Vergangenen Sonntag sind sie als tragende Säulen ihrer brasilianischen Equipe gemeinsam ins Rampenlicht gerückt: Luciana ritt den 14-jährigen Franzosen Vertigo du Desert, Rodrigo den zehnjährigen Belgier Major Tom. Mit ihrem vierten Platz im Finale um den Nationscup haben sie sich das Ticket für Olympia 2024 in Paris erkämpft. Wenn man ganz genau hinschaut, dann erkennt man leicht: Die beiden verfolgen ihr Paris-Projekt!

Als es am Sonntag Königlichen Poloclub von Barcelona für die brasilianische Equipe darum ging, unter allen Umständen vor den Amerikanern zu bleiben, zeigte Luciana eine Nullrunde, ohne dabei ihren feinen Springstil auch nur eine Sekunde aufzugeben. Rodrigo musste einen Abwurf hinnehmen, aber auch er zeigte einmal mehr seine Reitkunst, die ihn bereits beim Großen Preis von Aachen auf den vierten Platz gebracht hatte. Für mich jedenfalls sieht so das perfekte Springreiten aus.

Mit dem Stichwort Olympische Spiele hat Rodrigo offensichtlich noch eine Rechnung offen. 2004, bei den Spielen von Athen, ritt er den phantastischen Fuchs Baloubet du Rouet zunächst auf den Silberrang. Tage später wurde er zum Olympiasieger ausgerufen, denn der Ire Cian O’Connor hatte sein Pferd Waterford Cristal mit einem Beruhigungsmittel aus der Humanmedizin gedopt. Bei den Spielen von Atlanta 1996 und Sydney 2000 hatte Rodrigo mit seinem Team jeweils Bronze geholt. 2016, bei den Spielen in seiner Heimat, brüskierte man Rodrigo – in der Rückschau muss man noch heute mit dem Kopf schütteln, wie so etwas möglich war: Rodrigo wurde von George Morris, dem umstrittenen Amerikaner, nur als Reservereiter nominiert, weigerte sich jedoch, diese Demütigung hinzunehmen und gab den Job an einen anderen ab.

Betrachtet man die Karriere von Luciana Diniz, geboren in Sao Paulo, so zeigt sich ein durchaus ähnliches Auf und Ab wie bei Rodrigo. Zunächst startete sie international für ihr Heimatland, 2004 bei den Spielen von Athen. 2006 wechselte sie ihre Nationalität nach Portugal – ihr Großvater, so heißt es, habe sich das von ihr gewünscht. Andere Stimmen sagen, sie habe damals keine Chance mehr gesehen, für Brasilien bei Olympia antreten zu dürfen. 2012 und 2016 startete sie für Portugal. In Rio wurde sie Neunte in der Einzelwertung. Vor einem Jahr dann der überraschende Schritt zurück ins brasilianische Team. Ich traue ihr und Rodrigo durchaus eine Medaille zu, wenn übers Jahr in Paris die Stunde der Wahrheit schlägt.

Vor kurzer Zeit, in einem Gespräch mit unserem französischen Kollegen Pascal Renauldon, ganz aktuell beim Turnier von Chantilly, offenbarte Rodrigo, worum es ihm jetzt, mit seinen fünfzig Jahren, tatsächlich geht: „Ich bin ja hier in Chantilly aufgewachsen, erinnere mich an die Tage meiner Kindheit. Wir haben fünf Minuten von hier in der Rue de Creil gewohnt. Wir teilten uns einen Stall mit Gilles de Balanda und Janou Lefevre. Hierher zurückzukommen, das ist sehr speziell für mich. Ich denke, die Olympischen Spiele müssen hier ausgetragen werden.“

Und weiter: „Meine Ambition für 2024 ist klar – gerade, weil es Versailles ist! Aber wir müssen uns erst noch qualifizieren!“ Nun, dieser Schritt ist gemacht seit dem vergangenen Sonntag. Bleibt zu erwähnen, dass Rodrigo große Stücke hält auf seinen Landsmann Pedro Veniss, der jetzt mit im Team stand und im Finale einen Abwurf zu verzeichnen hatte.

Luciana Diniz, Rodrigo Pessoa und Pedro Veniss – so könnte das brasilianische Aufgebot für die kommenden Spiele lauten. Bekanntlich dürfen ja bei Olympia nur drei Aktive pro Nation antreten. Ein Streichergebnis wie jetzt noch im Finale von Barcelona gibt es bei Olympia leider nicht. Aber das ist ja eine andere Geschichte.

Kein Zweifel, der Plan, den Rodrigo hegt, klingt einfach: Aus eigener Kraft, also nicht wie 2004 in Athen, der Beste unter den Besten zu sein, die Goldmedaille zu holen, dazu eine Medaille für die brasilianische Equipe: Das wär’s! Damit könnte er die Schmach von 2016 vergessen lassen und wäre, was das Thema Olympia angeht, mit sich und der Welt im Reinen. Das Zeug dazu hätte Rodrigo, also einerseits das Pferd und andererseits seine überragende reiterliche Klasse!