Es heißt ja immer, die Geschichte wiederhole sich nicht. Einerseits durch veränderte Zeiten, andererseits durch die Einsicht von Menschen, aus ihren Fehlern zu lernen. Dass das keineswegs immer stimmt, zeigt sich in diesen Tagen einmal mehr. Das leidige Thema Barren ist wieder in aller Munde. Diesmal im Brennpunkt: Ludger Beerbaum und der TV-Sender RTL.

32 Jahre ist das nun her. 1990 erschütterte der Barr-Skandal um Paul Schockemöhle die Reiterwelt. Ein Filmemacher, der mit ihm zusammengearbeitet hatte, mittlerweile gestorben, gab damals Filmsequenzen, die Schockemöhle beim Barren junger Verkaufspferde zeigten, an Medien weiter. Paul Schockemöhle sah sich hintergangen, wehrte sich mit Hilfe von Fürsprechern, etwa dem damaligen Daimler-Benz-Vorstand und Amateurspringreiter Edzard Reuter sowie dem Dressurstar Reiner Klimke, er stand gleichwohl öffentlich als Tierquäler da.

Die Konsequenz nach heftigem Streit und turbulenten Wochen: Das grobe, tierquälerische Barren wurde zurecht verboten, quasi als Kompromiss wurde von der FN der Begriff des erlaubten Touchierens eingeführt: Nur erfahrenen Fachleuten gestattet, nur mit leichten Stangen von höchstens drei Metern Länge, zulässiges Gewicht zwei Kilogramm. Zwischen Barren und Touchieren liegt seitdem eine Grauzone. Eine kritische und/oder selbstkritische Debatte darüber hat es nicht gegeben.

Jetzt, im Jahr 2022, scheint sich der Skandal zu wiederholen: Ludger Beerbaum steht am Pranger durch kritische Filmberichte des Senders RTL und des Enthüllungsjournalisten Günther Wallraff und seiner Mitarbeiterinnen. Seit zwei Jahren hat man das Thema recherchiert, hat die FN informiert, die Veröffentlichung zunächst zurückgenommen, weil die Fakten zu vage waren. Der Bitte der FN, das gesamte per Handy gefilmte Material zu übergeben, zugleich auch konkrete Namen zu nennen – RTL lehnte das stets ab, auch in diesen Tagen nach der Sendung vom Dienstag, 12. Januar, wieder. Im Folgenden stelle ich die Vorwürfe von RTL der Stellungnahme von Ludger Beerbaum gegenüber.

RTL behauptet: Auf den zwei gezeigten, kurzen Filmsequenzen sehe man eindeutig, wie ein junges Pferd gebarrt werde. Eine Person mit einer langen Stange in der Hand schlage von unten her gegen die Vorderbeine des Pferdes, das gerade den Sprung überwinde. Wer das Pferd reitet und wer das Barren ausführt, darüber gibt RTL keine Auskunft. Die Filmsequenzen stammen laut RTL von einer Frau, die in Beerbaums privatem Reitbetrieb beschäftigt war.

Ludger Beerbaum sagt in seiner schriftlichen Stellungnahme: Die Szenen auf dem Reitplatz haben mit dem verbotenen Barren nichts zu tun. Es handelt sich um das von der FN erlaubte Touchieren, ausgeführt von einem erfahrenen Pferdefachmann. Die verwendete Stange entspreche den Regeln. DAs Touchieren gehöre bei ihm nicht zum täglichen Trainingsprogramm.

RTL behauptet: Auf Beerbaums Anlage habe eine RTL-Mitarbeiterin, die für drei Wochen als Medienpraktikantin in seinen Betrieb tätig war, Vierkanthölzer vorgefunden, die man zum Barren verwendet habe. Günter Wallraff selbst präsentierte in seiner Sendung ein abgebrochenes Stück dieser Hölzer. Es wurde von ihm und seiner Mitarbeiterin der Eindruck erweckt, dieses Holzteil sei beim Barren abgebrochen.

Ludger Beerbaum dazu: Die vorgefundenen „Mehrkantstangen“ werden ausschließlich für den Bau und die Reparatur von Weidezäunen benutzt. Bei genauem Hinsehen im Film seien die an den Stangen befestigten Isolatoren für die Zaunbänder zu erkennen.

RTL behauptet: Auf einem Dachboden des Reitbetriebes habe die RTL-Mitarbeiterin Hindernisstangen vorgefunden, die in der Mitte, etwa einen Meter breit, mit spitzen Noppen aus Kunststoff versehen waren. Sie werden in der RTL-Reportage gezeigt mit dem Hinweis, man könne nicht sagen, ob diese Stangen verwendet worden sind.

Ludger Beerbaum dazu: Diese Stangen stammen aus einem vor Jahren getätigten Kauf von Hindernismaterial, sie wurden aussortiert und auf dem Dachboden gelagert. Zu keiner Zeit habe man diese Stangen benutzt. Er könne nur mutmaßen, weshalb eine dieser Stangen, blank geputzt, in dem RTL-Film gezeigt werde. Für ihn sei es nahe liegend, dass man diese Stange gesäubert und explizit für den Filmbeitrag dorthin gelegt habe. Er werde zu diesem Detail weitere Nachforschungen anstellen.

RTL behauptet: Ludger Beerbaum und sein Hengst Goldfever seien bei den olympischen Spielen 2004 in Athen wegen Dopings disqualifiziert worden.

Ludger Beerbaum dazu: Die Aberkennung der Goldmedaille für ihn basierte nicht auf Doping, sondern auf verbotener Medikation. (Kurz von mir die Fakten: Goldfever hatte in Athen eine kleine Wunde, womöglich durch einen Insektenstich. Marie Johnson, Beerbaums damalige Stallchefin, behandelte dies routinemäßig mit einer mitgebrachten Salbe. Ihr Fehler: Sie hätte den offiziellen Tierarzt hinzuziehen und die Anwendung der Salbe genehmigen lassen müssen. Als Goldfever nach dem Gewinn der Goldmedaille im Mannschaftsspringen in die obligate Kontrolle kam, wurde eine geringe Menge von Kortison festgestellt – die deutschen Springreiter mussten ihre Goldmedaille an die US-Equipe abgeben. Wenig später änderte die FEI die Regeln zugunsten der Behandlung der Pferde. Ein Vorgang wie 2004 in Athen ist unter diesen Regeln nicht mehr möglich.)

RTL sagt: Man sei aus Gründen des Datenschutzes nach wie vor nicht bereit, weiteres Filmmaterial an die FN zu übergeben, ebenso wenig die Namen der am Barren beteiligten Personen.

Die FN teilt mit: Man nehme die gegen Ludger Beerbaum erhobenen Vorwürfe sehr ernst. Man prüfe, ob ein Ordnungsverfahren eingeleitet werden müsse. Leider sei RTL nicht bereit, das zur Prüfung notwendige, gesamte Video- und Beweismaterial zu übergeben. Die im Januar 2021 von der FN eingesetzte Fachkommission werde sich weiterhin mit dem Thema Touchieren und den Ausbildungsmethoden im Pferdesport beschäftigen.

Ludger Beerbaum schreibt: Er empfinde den RTL-Beitrag als „nachweislich falsch, verleumderisch und ehrverletzend“. Er werde „selbstverständlich juristische Schritte dagegen einleiten“.

Es sei „nicht hinzunehmen, dass auf meinem privaten Grund und Boden gefilmt wird“.

Die FEI erklärt: Die in dem RTL-Beitrag gezeigten Methoden seien „absolut inakzeptabel, sie widersprechen allen FEI-Regularien“. Das Wohlergehen der Pferde sei stets entscheidend, die FEI verurteile alle Methoden, die im Gegensatz dazu stehen.

Meine Meinung: Der Barr-Skandal von 1990 hat dem Sport mit den Pferden schwer geschadet, der Begriff des Barrens ist quasi in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen. Den Versuch der FN, dem Barren durch den Begriff des Touchierens die Spitze zu nehmen und das Touchieren unter strengen Regeln zu erlauben – ich hielt das damals und halte es heute für einen Irrweg. Dabei spielt es für mich keine Rolle, ob ein erfahrener Fachmann die Stange in der Hand hält und ein erfahrener Reiter im Sattel sitzt. Der Unterschied zwischen beidem, die Grauzone dazwischen – dem Laien, der vor dem Fernseher sitzt, sind sie nicht zu vermitteln. Das Touchieren gehört verboten! Die Reiterei muss der Öffentlichkeit klipp und klar signalisieren, dass man das anno 2022 gar nicht mehr nötig hat!

Die unsäglichen Bilder vom Fünfkampf in Tokio haben uns gezeigt, wie sensibel die Öffentlichkeit und die Medien reagieren, wenn Pferden Zwang und Gewalt angetan werden. In Deutschland gibt es – spätestens seit 1990 – keinerlei Akzeptanz des Publikums bei übertriebener Härte gegen die Pferde. Das mag, wie wir wissen, in anderen Ländern anders sein. Wie man es auch dreht und wendet: Die Reiterei kann und darf es sich nicht leisten, das ständige Ziel von Undercover-Journalisten zu werden, die mit versteckter Kamera oder „Fernrohren“ unterwegs sind, um Verstöße aller Art zu dokumentieren.

So sehr auch Ludger Beerbaum von seinem guten Recht Gebrauch macht, sich zu verteidigen, Günther Wallraff und RTL unseriösen Journalismus nachzuweisen – an ihm und seinem Betrieb bleibt gewiss  etwas hängen. Ich stelle ihm nur diese eine kritische Frage: Weshalb kauft und lagert er  Hindernisstangen mit Kunststoffnoppen? Ich glaube ihm, dass er sie nicht benutzt hat. Aber warum hat er sie nicht gleich auf den Müll werfen lassen?

Was den Weltverband FEI betrifft, so fällt mir zu dessen Stellungnahme nur dies ein: Ludger Beerbaum zählt zu den härtesten Kritikern, wenn es um die keineswegs pferdefreundlichen neuen Regeln für die olympischen Spiele geht. Er und die meisten Springreiter haben dagegen opponiert, weil sie der Ansicht sind, für die FEI stehe das Wohl der Pferde bei Olympia eben nicht an erster Stelle. Jetzt verweist die FEI genau darauf. Das ist unglaubwürdig. Ich sag’s mal so: Ludger Beerbaum steht am Pranger – der FEI ist das womöglich gar nicht mal so unrecht.