Rodrigo Pessoa, Steve Guerdat, Marcus Ehning & Co. fordern jetzt die Rückkehr zu den alten Olympia-Regeln – zum besseren Schutz ihrer Spitzenpferde. Die starken Funktionäre hatten den Willen der Aktiven übergangen und die Streichresultate geopfert.

Rodrigo Pessoa hat einen Stein ins Rollen gebracht. Wenige Wochen nach den Reiterspielen von Tokio verlangt der 48-jährige Sohn des legendären Nelson Pessoa vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) sowie vom Reiterweltverband (FEI) die Rückkehr zu den bewährten Reitregeln: „Ich hoffe, dass uns der Weltverband dieses Mal zuhört!“ Pessoa hat den Verlauf der olympischen Springen unter die fachlichlich-kritische Lupe genommen.

Jetzt wollen er und viele andere Profireiter der olympischen Disziplinen Springen, Dressur und Vielseitigkeit sich nicht mehr übergehen lassen. Auch Reitstars wie Michael Jung, Isabell Werth und Jessica von Bredow-Werndl verlangen, dass der Schutz ihrer Pferde wieder die höchste Priorität bekommt.

Worum geht es in diesem jahrelangen, aktuell neu aufgeflammten Streit zwischen den weltbesten Springreitern auf der einen, dem IOC und dem Weltverband FEI auf der anderen Seite? Fakt ist: Die kategorische Politik der allgewaltigen Funktionäre hat die über Jahrzehnte erfolgreich praktizierten Reitregeln bei Olympia auf den Kopf gestellt: Seit den siebziger Jahren bilden – nicht nur bei olympischen Spielen, sondern auch bei Turnieren wie jetzt in der Aachener Soers – vier Reiter ein Team im Preis der Nationen.

Aber nur die besten drei werden gewertet – das sogenannte Streichresultat stellt sicher, dass Pferde, die etwa einen schlechten Tag haben, nicht über die Hindernisse gezwungen werden, ihre Reiter also nicht auf Teufel komm raus das Ziel erreichen müssen. Rodrigo Pessoa schreibt in seiner Analyse auf dem weltweiten Internetportal „worldofshowjumping.com“:

„Viele von uns Reitern, etwa Ludger Beerbaum, Steve Guerdat und andere, haben seit Rio 2016 vor der Abschaffung der alten Regeln frühzeitig gewarnt.“

Leider hätten IOC und Weltverband auf ihrer Forderung nach “More Flags!“ bestanden, das bedeutet: Bei Olympia besteht eine Reiterequipe jetzt nur noch aus einem Trio – alle drei Ritte, jeder kleinste Fehler zählt! Scheidet ein Aktiver aus, weil sein Pferd schwächelt, ist das Team geplatzt. So erging es in Tokio den Franzosen, den Deutschen und auch den Brasilianern mit Rodrigo Pessoa.

Die sportpolitische Absicht von IOC und FEI, nämlich bei Olympia mehr Nationen, vor allem mehr kleineren eine Startchance zu eröffnen, sei der falsche Weg sagt Pessoa: „Dass es nicht mehr schlechte Bilder in unseren Wettkämpfen gegeben hat, ist lediglich der großartigen Arbeit des spanischen Parcoursbauers Santiago Varela zu verdanken.“ Wie erwartet, hätten die starken Reiter aus Schweden, den USA und Belgien die Medaillen unter sich ausgemacht. „Die schwächeren Nationen waren chancenlos!“

Marcus Ehning, der sich selbst ein „Auslaufmodell“ nennt, fordert dies: „Wir müssen die alten Regeln wiederhaben. Es macht doch keinen Sinn, die Regeln bei den Spielen auf die schwachen Reiternationen auszurichten und in Kauf zu nehmen, dass sie ihre Pferde überfordern.“ Bei den Spielen in London und Rio, so Ehning, seien 27 Nationen am Start gewesen, in Tokio 34. Gebracht habe es den schwächeren Reitern rein gar nichts. Rodrigo Pessoa sagt voraus:

„So einen Wettkampf wie in Tokio, so ein Stechen zwischen den Schweden und den USA um Gold, werden wir nie wieder erleben! Nur die Topreiter haben dafür gesorgt, dass alles so gut verlaufen ist. Es hätte aber auch ganz anders ausgehen können. Einige Stürze und kritische Situationen hätte man verhindern können.“

Auch Bundestrainer Otto Becker teilt die Sicht seiner Profis: „Ich habe es von Anfang an für falsch gehalten, die bewährten Regeln abzuschaffen! Wir brauchen das Streichresultat zurück.“
Beim IOC und beim Reiterweltverband in Lausanne hält man sich offiziell noch bedeckt. Hinlänglich bekannt ist allerdings die persönliche Haltung des FEI-Präsidenten Ingmar de Vos. Der Belgier wiederholt es gebetsmühlenhaft: „Wir müssen mit dem IOC Kompromisse schließen, damit unser Sport im olympischen Programm bleibt!“ Dabei hatte IOC-Präsident Thomas Bach immer wieder betont:

„Der Pferdesport ist und bleibt ein originärer Bestandteil unseres Programms!“ Die Reiter kritisieren, dass ihr Präsident in vorauseilendem Gehorsam gehandelt habe und ihre Warnungen ignoriert, nur um Thomas Bach zu gefallen.“

Jetzt drängt die Zeit. Noch in diesem Herbst müsste für die Spiele 2024 das alte Regelwerk wieder in Kraft gesetzt werden. Nur drei kurze Jahre bleiben bis Pari. Bei manchem Reiter wächst derweil die Sorge, der Weltverband könnte die für Tokio eingeführte Dreier-Team-Regel auf alle Nationenpreise ausdehnen, also auch auf Aachen, auf den Nationscup oder etwa auf Welt- und Europameisterschaften.

Wer sich am Ende durchsetzt, erscheint gegenwärtig völlig offen. Die exekutive Macht liegt bei FEI und IOC – allerdings sieht es momentan so aus, als wollten die Aktiven diesmal die Kraftprobe. Auf Initiative von Marcus Ehning und Steve Guerdat sammeln sie Unterschriften in den eigenen Reihen, um ihrem Verlangen Nachdruck zu verleihen. In Aachen hat Olympiasieger Ben Maher unterzeichnet, er sagt: „Im Interesse unserer Pferde müssen wir zu den sinnvollen Regeln zurück!“ Ob es zum Streik kommt, wenn alle Stricke reißen? Schwer zu sagen.

Es wäre das erste Mal, dass die Profireiter auf breiter Front solidarisch handeln und sich gegen die Allmacht der Verbände wehren. Im Laufe dieser Woche soll es das erste Gespräch zwischen den Aktiven und dem Deutschen Stefan Ellenbuch geben, dem Vorsitzenden des Springsportkomitees der FEI. Ausgang offen. Man munkelt, der Weltverband wolle den Aktiven diesmal entgegenkommen.