Kennen Sie das, liebe Leserin, lieber Leser? Weihnachten kommt immer so plötzlich! Genau so geht’s mir mit den Olympischen Spielen: Gerade noch alle Fühler ausgestreckt und nächtens neugierig nach Tokio geschaut – schon ruft’s aus Warendorf laut durchs Land: Hallo! Aufgewacht! Wir fahren nach Paris! Die neuen Olympiakader sind nominiert! Machen wir uns also nix vor: Schon im August/September 2024 trifft sich die Jugend der Welt vor dem weltberühmten Schloss von Versailles, um ihre Olympiasieger in Springen, Dressur und Vielseitigkeit zu ermitteln.

Über Jahrzehnte hinweg war die Dressur unsere sicherste Bank bei Olympia. Es regnete Titel und Medaillen, zumeist in Gold, aber wenn wir gen Paris blicken und die Ausgangslage, Stand heute, kritisch und selbstkritisch analysieren, dann müssen wir feststellen: „Littie“ Fry, wie ihre britischen Landsleute sagen, und ihr elfjähriger Hengst Glamourdale sind die Favoriten. Die zweifache Weltmeisterin von Herning lieferte strahlende Ritte über 80 Prozent. Sie schont ihren wunderschönen Hengst, der bei den Spielen von Paris 13-jährig sein wird – im allerbesten Alter.

Der deutsche Olympiakader für die Saison 2023 überrascht nicht wirklich: Jessica von Bredow-Werndl und ihr Bruder Benjamin, dazu Ingrid Klimke, Frederic Wandres und Isabell Werth. Unter dem etwas angestrengten Stichwort „erfolgsorientierte/erweiterte Weltspitze“ finden wir Helen Langehanenberg, Matthias Rath, Corinna Scholz und die herabgestufte Dorothee Schneider. Offen und ehrlich: Unserer Spitze fehlt die Breite!

Unter dem Stichwort „perspektivisch“ tauchen neue Namen auf: etwa der von Selina Söder, einer Schülerin von Jessica von Bredow-Werndl, Tochter des bayerischen Ministerpräsidenten. Dazu Helen Erbe, Paulina Holzknecht, Joana Peterka, Alina Schrader und Alexa Westendarp. Ich bin sehr gespannt, was wir in der vorolympischen Saison 2023 von den jungen Damen hören und sehen werden.

Der neue Olympiakader der Springreiter besteht aus neun Aktiven – so viele wie lange nicht mehr: Christian Ahlmann, Daniel Deusser, Marcus Ehning, Christian Kukuk, Janne Meyer-Zimmermann, Gerrit Nieberg, Andre Thieme, Jana Wargers und Philipp Weishaupt. Das alles klingt gut, vor allem deshalb, weil Otto Becker mit der Nominierung von Jana Wargers, Gerrit Nieberg und Christian Kukuk ein deutliches Zeichen gesetzt hat unter dem Motto „Konkurrenz belebt das Geschäft“.

Dabei fällt mir ein: Daniel Deusser muss in den vor uns liegenden eineinhalb Jahren zeigen, wie sehr ihm die Starts für Deutschland am Herzen liegen. Reiter, deren Hauptaugenmerk nur auf der Longines Global Tour und/oder den lukrativen Rolex-Turnieren liegt, nicht aber auf den Nationenpreisen, werden es wohl schwer haben, von Otto Becker das Ticket für Paris zu bekommen.

Auch der Olympiakader für unsere Buschreiter ist größer geworden, besteht sogar aus zehn Namen: Die erfahrenen Aushängeschilder Julia Krajewski, Michael Jung und Sandra Auffarth sind quasi gesetzt, Nicolai Aldinger, Alina Dibowski, Malin Hansen-Hotopp, Sophie Leube und Anna-Katharina Vogel sind nominiert und aufgewertet – das Signal des neuen Bundestrainers Peter Thomsen ist klar: Jeder bekommt seine Chance. Das gilt auch für den erfahrenen Schwaben Dirk Schrade sowie für Christoph Wahler, der bei der WM in Pratoni eine starke Leistung zeigte. Ingrid Klimke ist nach ihrer verkorksten Saison mit Siena in die Kategorie Perspektivkader/erfolgsorientiert zurückgestuft worden. Auch Andreas Dibowski und Anna Siemer rangieren nicht mehr in der ersten Reihe.

Das Wichtigste zum Schluss: Den Aktiven und ihren Sprechern in allen drei olympischen Disziplinen ist es leider nicht geglückt, die krassen Fehlentscheidungen der FEI und des IOC zu revidieren. Alle Teams bestehen auch in Paris nur aus jeweils drei Aktiven – das segensreiche und bewährte Streichresultat bei Teams mit vier Aktiven bleibt abgeschafft. Für mich kein Beitrag zur Fairness gegenüber den Pferden, die ja sooft und gerne betont wird. Dass man zur alten Reihenfolge zurückkehrt, nämlich erst die Teamentscheidungen danach die Einzelwertungen, ist richtig aber zu wenig.

Wie auch immer: In den letzten Tagen und Wochen höre und lese ich immer wieder von der Angst und der Sorge, die sich die Reiterei machen müsse um ihren olympischen Status. Wirklich? Wenn das so ist,  weshalb starrt dann unsere Zunft wie das Karnickel auf die Schlange? Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die Reiterei, seit 1912 zurecht im olympischen Programm, muss mit breiter Brust und mutigem Selbstvertrauen ans Werk gehen! Wer Angst hat vor der eigenen Courage, wer seine Gegner einfach gewähren lässt, anstatt sich ihnen in den Weg zu stellen, der braucht sich nicht zu wundern, wenn ihm die Felle davon schwimmen.

In meiner ultimativen Jahresbilanz 2022 werde ich auf dieses drängende Thema noch einmal intensiv eingehen. Versprochen!