Während wir Pferdeleute unter der Hitze von Riesenbeck die klassische Reitkunst genießen durften, ging’s andernorts weit weniger harmonisch zu: Das Versagen der deutschen Leichtathleten bei ihrer WM in Budapest, ihre Heimkehr ohne eine einzige Medaille, hat erwartungsgemäß heftige Debatten ausgelöst und den Aktiven sowie ihren Verbandsfunktionären heftige Kritik eingebracht. Dabei rückt der Begriff „PotAS“ mal wieder in den Mittelpunkt: Potentialanalysesystem! Simpel übersetzt, heißt das so viel wie: Nur wer im Spitzensport großen Erfolg hat, darf mit finanzieller Unterstützung rechnen. Und wie schaut’s da aus in unserem Sport mit den Pferden?

Es ist hinlänglich bekannt, dass die Sportwelt in knapp einem Jahr nach Paris blickt. Olympische Spiele sind nun einmal das Maß aller Dinge. Hat das Bundesministerium des Innern, verantwortlich für den Sport hierzulande, seine Fördergelder klug und erfolgversprechend angelegt? Oder haben die Steuermillionen ihr wichtigstes Ziel versäumt: Einen möglichst hohen Rang im Medaillenspiegel?

Dennis Peiler, der Chef des Deutschen Olympiadekomitees für Reiterei (DOKR), sagt: „In den Gesprächen mit dem Innenministerium haben wir zugesagt, dass unsere Reiter bei Olympia zwischen drei und fünf Medaillen erringen wollen. Das ist uns in der Vergangenheit stets gelungen.“ Siehe zuletzt in Tokio: Einzelgold für Julia Krajewski und Jessica von Bredow-Werndl, dazu Gold mit dem Dressurteam.

Blicken wir in das langsam ablaufende Jahr 2023: In Riesenbeck gab’s bei der Dressur-EM zweimal Gold für Jessica und einmal Silber für die Mannschaft. Die Buschreiter haben in der Normandie Teamsilber geholt und Bronze durch Sandra Auffarth. Bei der Springreiter-EM in Mailand war es vorvergangene Woche immerhin Silber für Philipp Weishaupt.

Die Resultate sprechen für sich, zumal wenn man bedenkt, dass Sönke Rothenberger seinen zunächst nominierten Fendi zurückziehen musste, auch Julia Krajewskis „Mendi“ ist leider nicht einsatzfähig. Andre Thieme musste seine Chakaria vor der EM abmelden wegen Verletzung. Und Marcus Ehning musste seinen Stargold kurz vor Beginn der Prüfung in Mailand im Stall lassen. Angesichts der Ausfälle sind die Erfolge unterm Strich doch  mehr als respektabel.

Nun allerdings kommt aus dem Innenministerium in Berlin unerfreuliche Kunde: Der famose Finanzminister Christian Lindner – die Nennung seiner Partei verkneife ich mir an dieser Stelle – tritt  mächtig auf die Sparbremse. Das wird wohl notgedrungen auch den Spitzensport treffen, der bereits vernehmbar mault und schimpft.

Wir Reitersleute tun gut daran, die Fassung nicht zu verlieren, denn wir sind, was Erfolge und Finanzen anbetrifft, bekanntlich in einer Sonderstellung: Die Erfolge unserer Spitzenleute basieren vor allem anderen auf der Tatsache, dass fast allesamt dem Mittelstand angehören, also Unternehmer sind, die ihr gesamtes Risiko selbst tragen.

Natürlich mit Ausnahmen: Ohne Madeleine Winter-Schulze beispielsweise wären die Erfolge von Isabell Werth, Ludger Beerbaum und manch anderen nicht zu denken. Mittlerweile ist Ludger Beerbaum selbst zu einem Förderer des deutschen Springsports geworden, indem er seine Angestellten Christian Kukuk und Philipp Weishaupt beritten macht. Auch in der Vielseitigkeit gäb’s keine Erfolge ohne den engagierten Kreis der Pferdebesitzer oder -mitbesitzer. Welchen Anteil am Erfolg die Besitzer in der Dressur haben, wissen wir: Denken wir nur an die großzügige Schweizerin Beatrice Bürchler-Keller, die seit langen Jahren Jessica von Bredow-Werndl unterstützt.

Dass Pferde eine (mitunter lukrative) Handelsware sind, lässt sich nicht leugnen. Und dass die Mittelständler auch mal ein gutes Pferd verkaufen müssen, womit sie die sportlichen Gegner stark machen – nicht gerade schön, aber doch unausweichlich. Zuletzt haben Vater und Sohn Tebbel ihr bestes Nachwuchspferd veräußert: leider an den Iren Cian O’Connor, der bei mir unten durch ist seit seinem hässlichen Dopingvergehen bei Olympia und seinem umstrittenen Auftritt im olympischen Parcours von Tokio.

Wenden wir uns unter dem Motto „Nix ist erfolgreicher als der Erfolg“ den kommenden Spielen von Paris zu. Mit oder ohne viel Fördergeld aus dem Potenzialanalysesystem sehe ich, Stand heute, die Medaillenchancen in den drei Disziplinen so: Jessica von Bredow-Werndl und ihre Dalera sind die Favoriten auf das Einzelgold. Das Teamgold werden wir wohl einmal mehr den britischen Damen und Herren überlassen müsse; dann wird’s halt Silber.

In der Vielseitigkeit Stufe ich Julia Krajewski aus Favoritin ein, unterstelle dabei, dass ihre „Mandi“ rechtzeitig wieder fit wird. Sandra Auffarth und ihr Viamant du Matz sind auch für eine Medaille gut. In Christoph Wahler sehe ich einen Zukunftsreiter, der das Zeug besitzt, sich auf dem olympischen Kurs zu bewähren. Welche Form in einem Jahr Michael Jung und sein Chipmunk haben, muss sich zeigen.

Wie schon so oft gesagt: Bei Olympia in Paris darf jedes Land nur drei Aktive stellen. Streichresultate sind gestrichen – ein krasser Fehler und Missgriff! Ich bleibe bei dieser Einschätzung und sehe ich da in allerbester Gesellschaft.

Zum Springen. Mehr noch als Dressur und Vielseitigkeit fällt die Springreiterei unter das Stichwort Tagesgeschäft: Man hat’s wieder gesehen bei der EM in Mailand. Vorhersagen oder Wunschequipen sind deshalb mit besonderer Vorsicht zu genießen: Philipp Weishaupt und sein Zineday sind für mich erste Wahl. Dazu auch Jana Wargers mit ihrem Limbridge. Um Platz drei wird es einen heißen Kampf geben. Womöglich hat Richard Vogel übers Jahr die Nase vorn. Oder mal wieder der erfahrene Daniel Deusser. Schön wär’s. Ob Marcus Ehnings Stargold bis dahin einsatzfähig ist, wird man sehen. Weiter spekulieren mag ich nicht.

Last but not least. Die Arbeitsverträge sämtlicher Bundestrainer sind an die Olympiade geknüpft – also an den Zeitraum von vier Jahren. Sie laufen jeweils nach den Spielen aus und müssen eigens verlängert werden. Meine Sicht auf dieses schwierige Kapitel zum Schluss: Peter Thomsen, noch nicht lange im Amt, wird gewiss weitermachen. Wenn sich Monica Theodorescu ebenfalls zum Weitermachen entschließen könnte, wären wir eine Sorge weniger. Monica leistet großartige Arbeit!

Bei Otto Becker bin ich mir nicht so ganz sicher. Seit 2009, also seit dem Debakel von Hongkong 2008, ist er im Amt – mit starken Erfolgen. Vielleicht mag er es ganz persönlich nach diesen für ihn auch anstrengenden Jahren etwas ruhiger. Das wäre jammerschade.

Wie auch immer man die Dinge im Spitzensport sieht: Nix ist erfolgreicher als der Erfolg!

Und wer mehr wissen möchte über das ominöse Potenzialanalysesystem, dem empfehle ich das Internet bei www.potas.de