Auf diesen Mann ist stets Verlaß! Otto Becker, 64, Bundestrainer der Springreiter seit 2009, ist in jeder Hinsicht unabhängig, muss nicht taktieren, nicht tricksen, nicht herumreden um den heißen Brei. Übers Wochenende, am Rande des Traditionsturniers in St. Gallen, hat er den geschätzten Kollegen von der Schweizer „Pferdewoche“ klipp und klar gesagt: „Vom neuen Konzept für die Nationenpreise halte ich nichts! Wo bleibt das Wellfare of the Horse?“

Vergangene Woche habe ich darüber berichtet: Unser Weltverband, im Einklang mit dem Hauptsponsor Longines, möchte für die wichtigsten Nationenpreise einer Saison von 2024 an die Regeln ändern bzw. verschärfen. Der erste Umlauf bleibt wie er war: Vier Reiter pro Nation, ein Streichresultat. Zweiter Umlauf wird geändert: Nur noch drei Reiter pro Nation, alle zählen, also kein Streichresultat mehr. Wahrscheinlich wird’s in der Praxis so sein, dass der Reiter mit dem Streichergebnis aus der ersten Runde in der zweiten nicht mehr antreten darf. Wichtig zu wissen: Longines ist bereit, noch mehr Preisgeld zu geben.

Otto Becker sagte im St. Galler Gründenmoos: „Ich bin kein Freund dieser neuen Formel. Ich bin ein Freund der alten, bewährten Formel! In den Nationenpreisen der letzten Wochen, also in Rom und hier in St. Gallen, war es sehr spannend, die Entscheidung erst im Stechen.“ Wohlgemerkt, das Stechen bestreitet jeweils nur ein Reiter aus dem Team, der vom Nationalcoach nominiert wird. Otto weiter: „Ich verstehe nicht, weshalb man ein erprobtes und traditionelles System jetzt ändern muss?“

Beckers deutliche Kritik: „Wir haben es doch bei den Spielen in Tokio, wo nur drei Pferde zugelassen waren, gesehen: Wenn uns das ,Wellfare of the Horse‘ so wichtig ist, dann sollte man den Nationenpreis nicht mit nur drei Pferden bestreiten. Aber es ist ja oft so: Der Sport entscheidet nicht allein!“ Schließlich noch diese wichtige Information, die Otto Becker im Gespräch mit der „Pferdewoche“ betont: Das FEI-Springkomitee, das die neue Formel vergangene Woche bekanntgegeben hat, war offenkundig gar nicht eingebunden in die Arbeit an diesem Konzept. Er selbst sei jetzt sehr gespannt darauf, wie es in der Debatte über die neue Formel weitergehe.

Nicht zu vergessen: Der Bundestrainer nutzte die Gelegenheit in St. Gallen dazu, dem Hauptsponsor Longines ausdrücklich zu danken für sein hohes finanzielles Engagement im internationalen Springsport. Das geht für mich in Ordnung, wenngleich man nicht genau weiß, wer eigentlich die treibende Kraft hinter dem neuen Konzept ist – der Sponsor oder die FEI?. Ich erinnere daran: Von der neuen Dreier-Regel, die in Tokio gültig war, waren die allermeisten Aktiven gar nicht begeistert, weil der Druck auf die Pferde ungemein gewachsen ist.

Ich frage deshalb nochmal: Wann wird dieser übertriebene Leistungsdruck eigentlich mal gemindert? Wer soll denn die vielen Serien und Touren, die Championate auf allen Ebenen, die Großen Preise undsoweiterundsofort bestreiten? Blickt man mal ganz genau auf die Resultate, dann zeigen sich die Probleme sofort. Also müsste die Parole doch lauten: Weniger ist mehr!

Kurz noch zum Spitzensport vom Wochenende: Bei der Globaltour in St. Tropez gewann der Franzose Julien Epaillard auf Donatello den mit 300 000 Euro dotierten Großen Preis, bekam 100 000 Euro Siegprämie. Platz zwei für Christian Kukuk auf seinem EM-Pferd Mumbai, 60 000 Euro Platzgeld. Parick Stühlmeyer auf Drako wurde Neunter, bekam noch 6000 Euro. Weltmeister Henrik von Eckermann musste auf seinem WM-Sieger King Edward zwei Abwürfe hinnehmen, kam nur auf Rang 24 von 38 Konkurrenten.

Nach den ersten fünf Stationen der Tour führt Maikel van der Vleuten mit 135 Punkten vor Abdel Said (109), Christian Kukuk (103,2), Malin -Baryard-Johnsson (101,1) und Simon Delestre (98) David Will und Hansi Dreher folgen mit jeweils 72 Zählern auf Rang zehn. Den Großen Preis im St. Galler Gründenmoos, dotiert mit 153 000 Franken, sicherte sich Harry Smolders auf Uricas, Siegprämie 38 125 Euro, vor Martin Fuchs auf Commissar Pezi, 30 500 Euro und Harry Charles auf Romeo, 22 875 Euro. Bester deutscher Reiter war Mario Stevens auf seinem Wallach Starissa auf Platz sechs, 8400 Euro.

Herzliche Grüße aus meinem Feriendomizil auf Sylt!