Ich hatte es mir schon gedacht und bin jetzt doppelt erfreut: Meine Rückschau auf die kuriosen Olympischen Spiele des Jahres 1900 in Paris ist auf ein vielfaches Interesse gestoßen. Das finde ich großartig – nach dem schönen alten Motto „Ohne Herkunft keine Zukunft!“ Hier und heute geht’s um die Olympischen Spiele des Jahres 1924, die zweiten in der französischen Hauptstadt. Ein knappes Vierteljahrhundert nach dem Desaster von 1900 erlebte die internationale Sportwelt ein tolles Event, wie man heute sagen würde. Ein breites Programm galt dem Reiten.

Die Spiele der IIIV. Olympiade fanden vom 4. Mai bis zum 27. Juli statt. Die Konkurrenten aus Amsterdam, Barcelona, Los Angeles, Prag und Rom waren nicht zum Zug gekommen. Pierre de Coubertin, der Begründer der Spiele der Neuzeit, hatte es sich für Paris gewünscht, zog sich danach aus allen Ämtern zurück. (Übrigens, Coubertin ist es zu verdanken, dass die Amtssprache des IOC bis heute das Französische ist. Deshalb heißt unsere FN Federation National und das „Tschio“ in Aachen „Concours Hippique International Offiziell“. Schon wieder was gelernt!)

Wer sich ein wenig für die Geschichte des Sports interessiert, der weiß, dass der hünenhafte Schwimmer Johnny Weissmüller drei Goldmedaillen gewann, sogar fünf Goldmedaillen gingen an den finnischen Wunderläufer Paavo Nurmi. 1924 wurde das bis heute gültige Motto „Schneller, höher, weiter!“ kreiert. 1000 Journalisten berichteten aus Paris in alle Welt. Die Sommerhitze kletterte bis auf 45 Grad Celsius! Es gab 126 Wettkämpfe, 44 Nationen nahmen teil, insgesamt 3088 Aktive. Deutschland wurde wegen seiner Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs erneut nicht eingeladen wie schon 1920.

Das soll uns aber heute, hundert Jahre später, nicht daran hindern, etwas genauer auf das olympische Reitturnier von 1924 zu blicken: Es gab Polo, den klassischen Dreiklang aus Springen, Dressur und Vielseitigkeit sowie den sogenannten Modernen Fünfkampf, den der Baron de Coubertin persönlich ins Programm gedrückt hatte: 38 Teilnehmer aus elf Nationen, zumeist Militärs oder Adelige; die Medaillen gingen an drei Schweden. Gefordert waren Schießen, Schwimmen, Degenfechten, ein Geländeritt und ein Crosslauf. Ob die Pferde zugelost wurden oder mitgebracht waren, ist unklar.  Anno 2024 wird der Fünfkampf letztmals mit dem Reiten ausgetragen. (Das ist gut so!) Das Voltigieren, damals als „Kunstreiten“ deklariert, hatte man aus dem Programm genommen; es war seinerzeit kein Sport für Kinder und Jugendliche, sondern für geschickte Soldaten.

Im Hippodrom von d’Auteult, westlich von Paris, fanden die Reitwettbewerbe statt. Es waren die ersten unter der Oberaufsicht des 1921 gründeten Weltverbandes FEI. 17 Nationen nahmen teil an der Vielseitigkeit mit 44 Pferden, im Springen waren es 43 Reiter aus elf Nationen, in der Dressur 24 aus neun Nationen. Der Parcours im Springen war 1060 Meter lang mit 16 Hindernissen.

Die Regeln waren wirklich bemerkenswert: „Abwerfen mit den Vorderbeinen ergab vier Fehler, Abwerfen mit den Hinterbeinen nur zwei Fehlerpunkte. Erste Verweigerung oder das Ausbrechen kostete fünf Punkte, zweites Verweigern oder Ausbrechen zehn Punkte. Beim dritten Mal musste der Reiter ausscheiden. Sturz von Pferd oder Reiter kostete fünf Punkte, das Einschlagen einer falschen Bahn jedoch nur zwei Punkte. Schon damals gab es auch Zeitfehler – wie die Zeit genommen wurde, das ist nicht genau überliefert.

Das Medaillentableau sagt uns heute natürlich so gut wie nichts mehr. Trotzdem möchte ich die großen Sieger gerne nennen: Olympiasieger in der Military mit einem Geländeritt über 36 Kilometer in fünf Abschnitten wurde der Niederländer von der Voort van Zilp auf Silver Piece vor dem Dänen Frode Kirkebjerg auf Metoo und dem Amerikaner Sloan Doak auf Pathfinder – alle drei Militärs. Die Teamwertung ging an die Niederländer vor Schweden und Italien.

In der Dressur ging es um eine Aufgabe, die rund zehn Minuten dauerte – wer zu lange brauchte, bekam Fehler angerechnet. Es war, so steht’s in den Annalen, ein ziemliches Durcheinander voller Hektik. Um alles korrekt auszuführen, so heißt es, hätte man eigentlich zwölf Minuten benötigt, aber um Zeitfehler zu vermeiden, entstand, so wörtlich, „eine wahre Jagd um das Einhalten des Zeitlimits“. Einige Reiter jagten in knapp neun Minuten durch das Programm. Wirklich schade, dass es davon keine bewegten Bilder gibt. Aber immerhin Fotografien. Eine Lektion war das Angaloppieren aus dem Rückwärtsrichten, eine andere Schlangenlinien durch die ganze Bahn mit Galoppwechsel beim Überreiten der Mittellinie. (Diese Lektion bestand noch zu meiner reiterlichen Jugendzeit in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.)

Gold in der Dressur gab’s für den schwedischen General Ernst von Linder auf dem Trakehner Piccolomini vor seinem Landsmann Bertil Sandström auf Sabel und dem Franzosen Xavier Lesage auf Plumarol. Im Springen siegten die Schweden vor den Schweizern und den Portugiesen. Drei Offoziere holten die Medaillen: Gold für den Schweizer Alphonse Gemuseus auf Lucette vor dem Italiener Lequio di Assaba auf Trebecco und dem Polen Adam Krolikiewiecz auf Picador.

Das Poloturnier gewannen die Argentinier – die erfolgreichste Nation überhaupt in diesem Sport. Silber ging an die Amerikaner, Bronze an die Engländer. Dahinter die Spanier und die Franzosen.

Soweit meine Skizzen aus Paris des Jahres 1924. Vier Jahre später, 1928, gingen die Olympischen Spiele wie längst abgemacht nach Amsterdam. Dort gewann Freiherr Hanko von Langen auf Draufgänger das Gold in der Dressur; Major Bruno Neumann auf Ilja holte Bronze in der Military. Deutsche Sportler durften wieder teilnehmen bei Olympia.

Vom 26. Juli bis zum 11. August ist Paris zum dritten Male Schauplatz der Olympischen Spiele. Angesichts der aktuellen Weltlage fällt es mir doch schwer, so etwas wie Vorfreude zu verbreiten. Vergessen wir nicht: In der Antike durfte während olympischer Spiele kein Krieg geführt werden. Das muss uns heute schwer zu denken geben.