Noch ehe der zweite Dressurtag bei dieser 36. EM der Buschreiter in der Normandie zu Ende war, hat der Bundestrainer Peter Thomsen im Dauerregen von Haras du Pin gesagt, was zu sagen war: „Unsere Dressurleistungen waren sehr gut! Alle Reiter haben sich weiterentwickelt. Michael hat allem die Krone aufgesetzt! Wir sind super im Plan. Morgen werden wir sehen, wie der Boden ist. Notfalls müssen wir längere Wege in Kauf nehmen, wenn die Pferde müde werden. Der Kurs sollte verkürzt und einige Sprünge herausgenommen werden!“

Mit dem Auftritt der sechs deutschen EM-Reiter*innen können Peter Thomsen, die Fans vor Ort und wir Daheimgebliebene mehr als zufrieden sein: Einmal mehr hat Michael Jung, der dreifache Europameister von 2011, 2013 und 2015, auf dem Dressurviereck seine eigene Maxime verwirklicht: „Ich möchte immer, wenn’s geht, mit einer Note unter der 20-Punkte-Marke starten.“ Nach glänzendem Ritt, für den es zurecht 8er, 9er und 10er gab, führt der Olympiasieger von London und Rio auf seinem FischerChipmunk mit nur 19,4 Minuspunkten das Feld der 56 Konkurrenten an. Das entspricht 80,63 Prozentpunkten. Niemand sonst kam unter die magische Marke!

Aus deutscher Sicht tut der Blick auf den Ergebniszettel nach der Dressur natürlich gut. Michael Jung kann aus eigener Kraft seinen vierten EM-Titel gewinnen. Aber so einfach, wie sich das hier hinschreiben lässt, ist es natürlich nicht. Denn der weitere Blick auf die Resultate nach zwei Dressurtagen könnte uns alle in leichte Depressionen stürzen: Platz zwei mit 21,3 Punkten für Rosalind Canter, die Weltmeisterin von 2018, auf Graffalo, vor Tom McEwen auf Dublin, der als Einzelreiter unterwegs ist (22,0). Auf Rang vier Laura Colett auf London (22,4), auf fünf Yasmin Ingham auf Banzai du Loir, die amtierende Weltmeisterin. Und auf Platz sechs Tom Jackson auf Hollow Drift (25,7).

Ach übrigens, bevor ich es vergesse: Alle Genannten hinter Michael Jung reiten für das Vereinigte Königreich unter der Order von Chris Bartle, dem ich schon vor geraumer Zeit den Ehrentitel „Hexenmeister“ verliehen habe. Sein Viererteam, bestehend King, Ingham, Collett und Canter, steht heute Abend mit 67,1 Strafpunkten an der Spitze des EM-Feldes, gefolgt von der deutschen Equipe mit Hansen-Hotopp, Wahler, Auffarth und Jung mit 76,3 Punkten. Platz drei belegen die Belgier (90,0), dahinter die Schweiz (93,1), die Niederländer (93,1), die Franzosen (94,4), die Schweden (98,9), die Italiener (99,1) und die Österreicher (103,5).

Die Überraschung dieser Dressur zum EM-Auftakt war für mich der deutsche Einzelreiter Jerome Robin auf dem 13-jährigen Iren Black Ice. Bereits gestern legte er auf dem Viereck fast fehlerfrei 74,05 Prozentpunkte vor, was umgerechnet nur 26,0 Minuspunkten entspricht. Kompliment! Jerome liegt gleich hinter der britischen Phalanx auf Platz sieben. Chance genutzt, kann ich da nur sagen. Nominierung gerechtfertigt! Morgen, am späten Nachmittag, werden wir sehen, wer die Nase vorn hat. Jerome, so scheint mir heute, ist für eine Überraschung gut.

Christoph Wahler, der Teamweltmeister von Pratoni, hat ebenfalls überzeugt, liegt mit seinem Carjatan und 28,3 Punkten auf Rang zehn. Gleich dahinter Sandra Auffarth, die mit ihrem Viamant du Matz fehlerfrei agierte und morgen mit 28,6 Punkten ins Gelände startet. Malin Hansen-Hotopp ließ bei ihrem Debüt in einem internationalen Championat auf Carlitos einiges liegen, hat jetzt 31,5 Punkte, was Platz 20. bedeutet. Nicolai Aldinger und sein Schimmel Timmo konnten auf dem Viereck nicht so recht überzeugen, haben 33,3 Punkte auf Rang 34.

Kurz und knapp: Michael Jung blieb, wie erwähnt, als einziger unter der 20-Punkte-Mark. Weitere 15 Pferde kamen zwischen 20 und 30 Punkten ins Ziel. Das Vorderfeld liegt ziemlich eng beieinander. Es wird, das steht jetzt schon fest, alles knapp hergehen. Hoffen wir an diesem Abend, dass die Jury in der Normandie die aktuelle Lage im Blick auf den Boden der Geländestrecke vernünftig und sachgerecht beurteilt. Ich mache mir, ohne dass ich vor Ort bin, gerne die Sicht von Peter Thomsen zu eigen. Strecke verkürzen und einige Sprünge, die zu viel Risiko bedeuten, herausnehmen. Alle Aktiven und ihre Pferde müssen morgen Abend gesund und munter sein. Denn für die Vielseitigkeit steht allerhand auf dem Spiel. Das dürfen wir nicht vergessen.

Start ins Gelände morgen ist um 12 Uhr. Malin Hansen-Hotopp um 12.08 Uhr, Christoph Wahler um 13.04 Uhr, Jerome Robin um 13.56 Uhr, Sandra Auffarth um 14.32 Uhr, Nicolau Aldinger um 15.16 Uhr und Michael Jung um 15.32 Uhr.

 

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