Hätten Sie’s gewusst? Nein? Schämen Sie sich nicht, ich auch nicht. Aber in meiner gut sortierten, hippologischen Bibliothek bin ich fündig geworden. Morgen erlebt das wichtigste Turnier auf der britischen Insel, die „Royal International Horse Show“ in Hickstead, seinen Höhepunkt und Abschluss mit dem Großen Preis. Den gibt es, ob Sie’s glauben oder nicht, seit 1911! Und weil nach feiner englischer Art alle historischen Wettkämpfe einen besonderen Namen tragen, heißt er „King George V. Gold Cup“. Beim Nachlesen seiner bewegten Geschichte bekomme ich Gänsehaut.

Wir schreiben die Tage vom 12. bis 24. Juni 1911. In der Olympia Hall von London beginnt die fünfte Royal Horse Show – unterbrochen durch die Krönung Georg des V. (also des Fünften). Zu diesem Anlass stiftet der neue König der Briten dem Turnier einen Goldpokal im Wert von 500 Pfund. Erster Sieger wird der russische Hauptmann Dimitri van Exe auf einem Pferd namens Piccolo vor dem belgischen Leutnant Leon Ripet auf Miss Kitty, der erfolgreichste Springreiter jener Jahre.

Sie werden fragen, woher ich das weiß? Ganz einfach. Unser Schweizer Kollege Max Ammann hat das alles in seinen Prachtbänden zur „Geschichte des Pferdesports“ minutiös aufgeschrieben – eine Fleißarbeit, die man nicht hoch genug rühmen kann, denn ohne seine fixe Idee von einer lückenlosen Geschichte stünden wir Nachgeborenen heute ziemlich dumm da. Einmal mehr sende ich also aus gutem Grund herzliche Grüße zu Max Ammann in die Schweiz!

Es handelte sich also um einen Pokal aus echtem Gold, der fortan alle Jahre wieder als Wanderpreis bei der „Royal International Horse Show“ in London ausgeritten werden sollte. 1912 siegte der Belgier Delvoie auf Murat, 1913 und 1914 der französische Baron de Meslon auf Amazone. Während des Ersten Weltkriegs gab’s in London kein Turnier. Aber schon 1920 ging’s in der Olympia Hall weiter. Um es geschickt vorweg zu nehmen: In späteren Zeiten „wanderte“ das Turnier mit seinem Gold Cup ins legendäre Wembley Stadion, weltbekannt wegen des Fußballs, hernach ins White City Stadium im Westen Londons, dann kurz nach Birmingham. Seit 1992 wird es in Hickstead veranstaltet.

Um meine geschätzten Leserinnen und Leser nicht zu ermüden, erspare ich Ihnen die Aufzählung von siegreichen Reiter- und Pferdenamen in den zwanziger und dreißiger Jahren. Von 1940 bis 1946 entstand logischerweise die zweite längere Unterbrechung. 1947 beim ersten Gold Cup der Nachkriegszeit begegnen wir einem der ganz Großen jener Jahre: Pierre d’Oriola, dem französischen Landedelmann auf Marquis III. In den folgenden Jahren siegen die Briten Harry Lewellyn und Butler allein fünfmal.

Den ersten Sieg eines deutschen Springreiters im ältesten Großen Preis der Sportgeschichte sehen wir 1954: Fritz Thiedemann auf Meteor! In einem alten Buch aus jener Zeit („Mein Freund Meteor“) findet sich ein Foto von der Siegerehrung: „Fritze“ Thiedemann in strammer Haltung, den kiloschweren „St. Georg“ auf einem Marmorsockel in den Händen, angelacht von Königin Elisabeth II., die man damals noch als „die junge Königin“ bezeichnen durfte.

Erst 1965 und 1968 folgten die nächsten deutschen Siege durch Hans Günter Winkler auf Fortun und Enigk. Der hochbegabte Gerd Wiltfang siegte 1971 auf Askan. 1975 glückte Alwin Schockemöhle der Sieg auf seinem Schimmel Rex the Robber. Erst 1983 konnte Paul Schockemöhle mit Deister den nächsten deutschen Erfolg feiern. Dann dauerte es bis 2002, ehe Ludger Beerbaum auf Champion de Lys siegreich war. 2004 schaffte es Rene Tebbel auf Farina, 2008 Holger Wulschner auf Clausen und zuletzt 2019 David Will auf Never Walk Alone.

Diese recht kurze Namensliste zeigt uns heute, dass dieser „King George V. Gold Cup“ – morgen übrigens dotiert mit 152 500 Euro – wirklich kein „gemähtes Wiesle“ für unsere Reiter war. Nein, die Briten führen auf der ewigen Siegerliste mit haushohem Abstand: David Broome beispielsweise siegte zwischen 1960 und 1991 allein sechsmal, Michael Whitaker siegte viermal zwischen 1982 und 1994, Nick Skelton ebenfalls viermal zwischen 1984 und 1999. Erfolgreich waren von Zeit zu Zeit auch die US-Profis Beezie Madden, Kent Farrington, Norman Dello Joio und Jeffery Welles,

Alles in allem: Wenn ich richtig gerechnet habe, sehen wir in Hickstead morgen die 98. Ausgabe des ältesten Großen Preise im internationalen Springsport. Wegen der Corona-Pandemie haben die Briten 2020 das Turnier ausfallen lassen, 2021 wurden Nationenpreis und Gold Cup gestrichen. Ich bin sehr gespannt, wie es morgen ausgeht. Nach dem schwachen Auftritt im Nationenpreis wage ich keinen deutschen Sieg vorherzusagen. Aber man weiß ja nie…

Mehr Infos unter www.longinestiming.com Max Amanns „Geschichte des Pferdesports“ kann man vielleicht unter www.zvab.de aufspüren.