Das so traditionsreiche Naturstadion im Gründenmoos von St. Gallen – es hat über die Jahrzehnte mancherlei erlebt: Schweren Regen beispielsweise, dessen Wasser sich in dieser riesigen Schale sammelte, sodass nichts mehr ging. Man versuchte, dem Wasser mit Gebläsen Herr zu werden. Ein unvergesslicher Anblick. Gleichwohl, gestern war davon keine Rede – im Gegenteil: Der Preis der Nationen war erst entschieden, nachdem die Gastgeber im Stechen gegen die Brasilianer die Oberhand behalten hatten: Martin Fuchs sicherte fehlerfrei den verdienten Erfolg. Otto Beckers Team erkämpfte sich Platz drei.

Stattliche 200 000 Euro Preisgeld gab Sponsor Longines für diesen Auftakt in die Saison der Nationenpreise 2023. Die nächsten Stationen sind Sopot in Polen (15. bis 18. Juni), Rotterdam (22. bi 25. Juni), Falsterbo in Schweden (13. bis 16. Juli), Hickstead (26. bis 30. Juli) sowie Dublin (9. bis 13. August).

Unter ihrem Teamchef Michael Sorg ritten gestern folgende Eidgenossen: Edouard Schultz, Brian Balsiger, Martin Fuchs und Steve Guerdat. Für ihren Sieg gab’s 64 000 Euro zu verteilen. Bei den Brasilianern sah man eine seltene Besonderheit: Rodrigo Pessoa stand zum ersten Male seit Jahren wieder in einer Equipe auf europäischem Geläuf. Mit ihm ritten Veniss, Mansur und Musa. Prämie 40 000 Euro. (Es wäre ja wirklich schön und bemerkenswert, wenn Rodrigo demnächst in Aachen mal wieder mit von der Partie wäre.)

Zufrieden äußerte sich Otto Becker, dessen Quartett mit Hansi Dreher, Marcel Marschall, Mario Stevens und David Will sich in der zweiten Runde enorm steigerte und am Ende mit acht Punkten Platz drei belegte hinter den fehlerfreien Schweizern und den Brasilianern mit einem Abwurf im Stechen. Prämie 32 000 Euro. Dahinter folgten die Briten (12 Punkte), die Franzosen (16), die starken Österreicher (20), die Dänen (24) und die geschlagenen Niederländer (28), immerhin mit der Badenia-Siegerin Sanne Theissen, Jur Vrieling und Harry Smolders. So kann’s gehen.

Apropos Preis der Nationen: Das Springkomitee der FEI hat sich dieser Tage ein neues Konzept ausgedacht für die „League of Nations“. Vom kommenden Jahr an soll es Gültigkeit erlangen für die weltweite Topliga. Hauptsponsor Longines ist offenbar bereit, dafür nochmal tiefer in ihr Säckel voller Franken, Dollars und Euros zu greifen. Man wolle, so heißt es in der Pressemail, übersetzt auf deutsch, „reichlich Gelegenheit bieten zum Story-Telling“. Wer diesen Begriff (noch) nicht kennt, dem übersetze ich frank und frei: Das neue Format ist so toll und so klasse, dass ich daraus sagenhafte Spannung ergibt und jede Menge tolle Storys für die Medien – ob gedruckt oder digital oder sonst irgendwie.

Die wesentlichen Fakten: Der erste Umlauf dieser Preise der Nationen mit bis zu zehn Equipen bleibt  wie er bisher war: Vier Reiter*innen pro Team plus Streichresultat. Im zweiten Umlauf sind nur noch acht Mannschaften zugelassen und nur noch drei Aktive pro Team; kein Streichresultat mehr. Alles zählt. Klar, dass derjenige oder diejenige, die im ersten Umlauf das Streichresultat liefern, im zweiten nicht mehr antreten dürfen.

Ich sag‘ mal so: Wenn die FEI die bisher geltenden Regeln attraktiver machen will, kommt halt immer eine Verschärfung heraus. Und wo kein Streichresultat ist, da steigt der Druck auf Pferde und Reiter, die noch im Rennen sind und den Sieg unter sich ausmachen sollen. Wir erinnern uns: Im olympischen Preis der Nationen dürfen seit Tokio 2021 ja überhaupt nur noch drei Aktive pro Team antreten. Das Ergebnis haben wir gesehen – eine Menge Stress mehr für alle Beteiligten.

Wollen wir das wirklich? Der Fall Tim Honold und sein Sturz vom Derbywall zeigen uns, was passieren kann, wenn wir das Augenmaß verlieren. Nein, mein Vergleich hinkt nicht! Wir müssen strenger als bisher darauf achten, dass im allerhöchsten Spitzensport nur diejenigen an den Start gehen dürfen, die den Anforderungen gewachsen sind – soweit sich das überhaupt voraussagen lässt. Die fanatischen Gegner der Sportreiterei warten nur darauf, Anzeigen erstatten und Spendengelder einwerben zu können. Sie sprechen, wie in den letzten Tagen zu lesen war, bereits vom „sogenannten Pferdesport“, der ersatzlos gestrichen und verboten werden müsste.

Ich meine, was wir jetzt brauchen, das ist keine Verschärfung der Regeln bei weiter steigenden Preisgeldern, wir brauchen stattdessen mehr Vernunft und Augenmaß. Nicht noch höher, noch weiter und noch schneller! Sondern eine Denk- und Atempause. Den Verbleib der Reiterei im olympischen Programm, von dem seit Tokio immer wieder kritisch die Rede ist, sichern wir nicht durch eine Verschärfung der Regeln, die ein noch höheres Risiko mit sich bringt, sondern nur unter dem altbewährten Motto: Weniger ist mehr!

Herzliche Grüße von meinen Ferien auf Sylt!