Vor dem niederländischen Bezirksgericht in Arnheim stehen sich seit einigen Wochen zwei international renommierte Pferdezüchter gegenüber. Einerseits Kees Visser, Entdecker und Besitzer des legendären Rapphengstes Totilas, andererseits Paul Schockemöhle, Besitzer seit 2010, Förderer und cleverer Vermarkter des sogenannten Wunderhengstes. Erwartungsgemäß geht’s um sehr viel Geld – um 3,5 Millionen Euro, es könnten aber auch bis zu 18 Millionen werden. Wie’s ausgeht, ist gegenwärtig völlig offen. Gelingt ein Vergleich, könnte bald Ruhe einkehren – wenn nicht, geht die unendliche Geschichte weiter und weiter…

Das in Hamburg erscheinende Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ widmet in seiner aktuellen Ausgabe vom 3. September der Causa Totilas vier Seiten – extrem viel für Spiegel-Verhältnisse. Der Redakteur Thilo Neumann hat sich extrem fleißig und tief in die selbst für erfahrene Pferdeleute extrem komplizierte Materie hineingekniet, hat sogar, wie das Magazin anerkennend mitteilt, zehn Stunden lang den Prozess vor Ort verfolgt. (Ich empfehle die Lektüre der Printausgabe und/oder der Webseite „spiegel-online“.)

Kurz gefasst, geht es um folgendes: Ursprünglich hatte Kees Visser, der niederländische Besitzer von Totilas Paul Schockemöhle gebeten, seinen Rapphengst nach der grandiosen WM von Lexington 2010 mit dreimal Gold unter Edward Gal international zum Kauf anzubieten, Kostenpunkt zehn Millionen; im Falle des Verkaufs sollte eine Provision von einer Million Euro fließen. Doch Schockemöhle schwenkte rasch um, kaufte selbst Visser den Hengst für 9,5 Millionen Euro ab.

Die Suche nach einem geeigneten Reiter*in zog sich hin, Isabell Werth, Schockemöhles erste Wahl, lehnte ab, mochte und möchte nur selbst ausgebildete Pferde in den Sport bringen. Schließlich, so ist es jetzt gerichtsfest, kaufte Ann Kathrin Linsenhoff den Hengst für zehn Millionen. Stiefsohn Matthias Alexander Rath ritt, leider nur mit mäßigem Erfolg. 2015 bei der EM in Aachen ging Totilas ungleich – ein peinlicher Auftritt in der Soers, das Ende der Karriere. Totilas ging in die Zucht, Decktaxe 8000 Euro, Jahre später nurmehr 2800 Euro. Paul Schockemöhle offen und ehrlich: „Bei Totilas war von Anfang an der Wurm drin.“

Und jetzt: Im Zentrum der gerichtlichen Auseinandersetzung, die Paul Schockemöhle begonnen hat, steht die Frage: Wurden 2010 die Deckrechte mitverkauft oder nicht? Visser sagt nein, Schockemöhle sagt ja. Visser besitzt nach eigenen Angaben vor Gericht noch 240 Portionen von Totilas-Samen – Gesamtwert nach seiner Rechnung: 18 Millionen Euro. Schockemöhle sagt sinngemäß: der Samen ist nichts mehr wert, denn bereits 2010 bei der Übernahme des Hengstes hätten Laborproben ergeben, dass der Samen verseucht ist, also unbrauchbar. Visser bestreitet dies. Er fordert von Schockemöhle aktuell 3,5 Millionen Euro – fürs Laienverständnis wohl eine Art von Schadensersatz.

Wichtig zu wissen: Schockemöhle bietet auf seiner Internetseite zum Stichwort Deckstation nach wie vor Totilas-Samen an, Kostenpunkt jetzt 4000 Euro. Wichtig auch: Ann Kathrin Linsenhoff, die womöglich etwas Licht in die Wirrnis bringen könnte, lehnt es laut Spiegel-Bericht bis dato ab, vor Gericht in den Niederlanden als Zeugin auszusagen. Das ist ihr gutes Recht. (Aber schade ist es schon.) Eine Fülle von Details, die der Außenstehende nur staunend zur Kenntnis nehmen kann, machen den Fall mehr und mehr kompliziert. Kurz und knapp – im Dezember 2020 ist der Hengst auf dem Schafhof in Kronberg plötzlich eingegangen, es heißt, an den Folgen einer Kolik. Auch daran wurden Zweifel gesät. Trotzdem sehen wir jetzt: Totilas und kein Ende. Das hat der Hengst eigentlich nicht verdient.