Es ist fürwahr ein denkwürdiger Abend in der Messehalle von Leipzig vor vollem Haus. Jubel, stehende Ovationen und viele feuchte Augen. Jessica von Bredow-Werndl gewinnt auf ihrer Dalera hochverdient das Weltcupfinale 2022 mit 90,836 Prozentpunkten. Eine Demonstration der klassischen Reitkunst voller Leichtigkeit! Die aufstrebende Dänin Catherine Dufour und ihr Vamos präsentierten sich als Paar, dem die Zukunft gehört: 86,164 Punkte, Rang zwei. Isabell Werth, der die Herzen der Zuschauer zufielen, stellte ihre 17-jährige Weihegold zum letzten Mal gewohnt souverän vor: 85,921 Punkte – Platz drei. 

Vor diesem mit einiger Spannung erwarteten Finale von Leipzig hatte Jessica von Bredow-Werndl ihre Schwangerschaft öffentlich gemacht und bekanntgegeben, „dass es ein Mädchen wird“. Überdies fand   sie es „richtig schade, dass ich jetzt nur noch ein kleines Turnier in Österreich bestreiten kann, danach kommt die Babypause“. Die WM Mitte August im dänischen Herning wird sie verpassen, möchte jedoch „schon vier Wochen nach der Geburt meines Kindes wieder Turniere reiten“. Nun, wir werden sehen, wie es dem Stall Werndl in Aubenhausen gelingt, die Topstute Dalera in der nötigen Form zu halten. Die Veranstalter der großen Hallenturniere, etwa in Stuttgart, werden sich um diesen Weltstar reißen.

Während Isabell Werth einmal mehr voll des Lobes über ihre „Weihe“ war und ihr der Abschied diese stets leistungsbereiten Stute sichtlich schwer fiel, lenkten drei junge Damen aus Dänemark die Aufmerksamkeit auf sich, frei nach dem Motto „Uns gehört die Zukunft“. Womöglich gehört ihnen Mitte August bei der WM im eigenen Land der WM-Titel mit dem Team: Catherine Dufour, Nanna Merrald und Carina Cassoe präsentierten ihre Pferde mutig und auf Angriff, zeigten viele hohe Schwierigkeiten, vor allem Carina Krüths Stute Danciera zog alle Blicke auf sich – ihr siebter Platz von Tokio war gewiss kein Zufall. Für mich verdient dieses Pferd das Prädikat „Traumpferd“.

Apropos Pferde. Schaut man die Startliste dieses 35. Finales durch, so fällt auf, dass allein zwölf der siebzehn Pferde aus der deutschen Zucht stammen. Einen derart starken Auftritt in einem wichtigen Championat hat man lange nicht gesehen. Ich finde es höchst erfreulich zu sehen, welchen Stellenwert die klassische Reitkunst sich wieder zurückerobert hat – ein Absage an die zirzensische Dressurshow, bei der die Pferde voller Spannung, die Krägen entweder zu hoch oder zu tief tragen. Solide Ausbildung, seriöses Training sind auf die Dauer doch der einzig richtige Weg.

Den Pechvogel dieses denkwürdigen Abends von Leipzig möchte ich nicht unerwähnt lassen: Die sympathische Charlotte Fry aus den Niederlanden, die für Großbritannien startet, hat mit Dark Legend wirklich ein starkes Zweitpferd. Aber eine Kamera am Rande des Vierecks brachte die Stute völlig aus dem Tritt. Sie widersetzte sich ihrer Reiterin, wurde am Ende weit unter Wert geschlagen, endete mit 67 550 Prozent auf dem letzten Platz. Schade. Ein gebrauchter Abend.

Nicht zu vergessen: Helen Langehanenberg und ihre Annabelle belegten im Endklassement Rang sechs, hatten sich noch im letzten Augenblick für Leipzig qualifiziert. Sagen wir mal so: Die Hallensaison ist mit diesen Leipziger Finaltagen zu Ende gegangen – jetzt geht der Blick nach vorn auf die internationalen Meetings im Freien. Der Fokus liegt vor allem auf Aachen im Juni, wo die sportlichen Weichen gestellt werden in Richtung Weltmeisterschaft. Jessica von Bredow-Werndl wird sich auf ihr zweites Kind konzentrieren, Isabell Werth wiederum auf die jüngeren Pferde, die möglichst bald ihre Stars Bella Rose und Weihgold ersetzen müssen. Und Monica Theodorescu bleibt die reizvolle Aufgabe, ein Team zu formieren, dass in Herning angreift nach dem Motto „So leicht lassen wir uns die Butter nicht vom Brot nehmen.

Am Ende noch einmal Jessica von Bredow-Werndl im Orignalton: „Es hat sich heute noch besser angefühlt als in Tokio. Dalera verbessert sich immer weiter, wir verbessern uns weiter. Es war heute sehr emotional, weil Dalera immer alles für mich gibt. Und weil es das letzte Turnier mit ihr für die nächsten fünf bis sechs Monate war. Aber zum Glück war es nicht das allerletzte. Wir werden zurückkommen!“ Und dann die Emotionen, die bei Jessica von Bredow-Werndl eine große Rolle spielen: „Es ist wie ein Märchen und ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist. Ich bin einfach nur unendlich dankbar dafür, dankbar für Dalera und für alle Meschen, die mich auf diesem Weg begleiten.“

Auch bei Isabell Werth spielten die Emotionen: „Es war eine sehr emotionale Atmosphäre. Weihegold hat super mitgemacht, hat keine Fehler gemacht. Aber nach der ersten Minute löste sich die Anspannung und dann war es einfach nur noch eine sehr schöne, fehlerfreie Prüfung.“

Einen guten Abend allerseits aus Stuttgart!