Die Weltmeisterschaften von Herning liegen hinter uns. Ich hab‘ mir nach den spannenden und auch anstrengenden Tagen eine kleine Auszeit auf Sylt genehmigt. Das tat gut: Man kommt herunter auf Normaltempo, gewinnt Zeit und Muße, um die Ereignisse nochmal zu überdenken. Am 16. August widmet sich zum Beispiel die „Sylter Rundschau“ einem Instagram-Text von Janne Friederike Meyer-Zimmermann, die mit ihrer Rolle als Reservistin hadert. Nun hat ihr Bundestrainer Otto Becker einen Startplatz beim Nationscup-Finale in Barcelona zugesagt – falls sie möchte.
Aber zunächst mal dies: Andre Thieme hat in Herning den Tiefpunkt seiner bisherigen Karriere verkraften müssen. Seine Stute Chakaria katapultierte ihn an einem mächtigen Oxer aus dem Sattel – keine Chance, auf dem Pferd zu bleiben. Dabei fällt mir ein, dass dem Franzosen Kevin Staut im Zeitspringen zum WM-Auftakt genau dasselbe passiert ist: Die Fotos zeigen, wie Staut über dem Sattel „schwebt“ – sein Pech: Die Sicherungspins seiner Bügelriemen lösten aus, seine wichtigste Stütze war plötzlich weg. Beim Verlassen des Parcours zu Fuß trägt der erfahrene Profi seine Bügelriemen nebst Steigbügeln in der Hand.
Sagen wir mal so: Auch ausgebufften Profis kann es passieren, dass sie im falschen Moment die Knie nicht so fest am Sattel haben, wie es nötig wäre. Beide Fälle zeigen mir aber auch, wie kompromisslos der Parcourschef Louis Konickx an die absolute Grenze des gerade noch Vertretbaren gegangen ist. Am Ende, alles in allem, hatte er die richtigen Sieger. Oder anders: Wer nicht auf den Punkt, quasi auf die Minute topfit war und hellwach, der hatte einfach keine Chance. Wie erklärt sich, zum Beispiel, das totale Versagen der US-Equipe? Kein US-Reiter im Einzelfinale – ich behaupt mal, dass es das noch nie gegeben hat. Ich bin gespannt, wie US-Coach Robert Ridland reagiert und seine nächsten Teams aufstellt.
Und jetzt zu Janne Friederike Meyer-Zimmermann: Die 41-Jährige aus Pinneberg wäre mit ihrem Messi liebend gerne angetreten bei dieser 20. Springreiter-WM. Es wäre ihr zweite Teilnahme nach Lexington 2010 gewesen; damals kamen sie und ihre Teamkameraden übrigens mit dem Titel nach Hause. Als feststand, dass Otto Becker sie für Herning als Reservereiterin nominiert, schrieb sie sich auf Instagram ihren Frust von der Seele. Damit auch Interessierte, die nicht jeden Tag auf Instagram unterwegs sind, wissen, was Janne im Vorfeld der WM geschrieben hat, veröffentliche ich hier und heute ihren kompletten Text:
„Über die Entscheidung, dass Messi und ich „nur“ als Ersatzpaar nominiert wurden, bin ich dennoch etwas traurig. Man muss dazu sagen, dass Deutschland dieses Jahr aus dem Vollen schöpfen kann und wir ein hervorragendes Team mit sehr guten Reitern/Reiterinnen und Pferden für die Weltmeisterschaft in Herning haben. Ich gönne jedem Einzelnen die Nominierung und werde auch als Ersatzreiter eine gute Unterstützung fürs Team sein!
Es gab durchaus weitere Reiter mit sehr guten Leistungen, die dieses Jahr nicht zum Zuge kommen und es sicherlich auch verdient gehabt hätten. Nichts desto trotz bestätigt die Nominierung ganz klar die traurige Entwicklung, dass Nationenpreise und Deutsche Meisterschaften ihre Bedeutung und Wertigkeit verloren haben!
Anders ist es nicht zu erklären, dass ein Pferd, welches als Einziges zweimal doppelnull in Fünf-Sterne-Nationenpreisen für Deutschland ging, nicht in der Mannschaft ist. Natürlich hat jedes Paar seine Nominierung durch hervorragende Erfolge gerechtfertigt! Aber die Tatsache, dass die Nationenpreise nicht mehr als etwas Besonderes gewertet werden, stellt auch die Weichen für die Zukunft und ist die Begründung, warum viele Reiter der Global Tour oder anderen lukrativen Serien scheinbar zurecht den Vorrang geben.
Dennoch: Ich bin super stolz auf Messi und mein tolles Teammeyerzimmermann, dass wir so schnell nach der Geburt von Friedrich wieder so weit oben mitmischen dürfen!“
Aktueller Nachsatz: In der erwähnten Ausgabe der „Sylter Rundschau“ wird Otto Becker so zitiert: „Ich verstehe, dass Janne enttäuscht war. Ich habe mit ihr ein klärendes Gespräch geführt. Wenn Janne das will, werde ich sie für das Nationscupfinale in Barcelona – 29. September bis 2. Oktober – bevorzugt nominieren.“ Die deutsche Nominierung für Barcelona gibt es aktuell noch nicht.
Einem kritischen Argument von Janne möchte ich ausdrücklich zustimmen: Auf der lukrativen Global Tour verdienen die Profis ihr Geld relativ leicht: Keine Wassergräben, keine dicken Mauern, alle Parcours moderat. Dass die deutschen Meisterschaften, rein sportlich betrachtet, schon seit langen Jahren kaum mehr sind als eine Farce, ist betrüblich, lässt sich aber nicht mehr ändern.
Weil Otto Becker und „sein“ Springausschuss heuer aus dem Vollen schöpfen konnten, war die Nominierung besonders schwierig und riskant. Wenn wir zurückschauen, sehen wir, dass es immer dann erfolgreich ausging, wenn sich das Quartett und die Reserve quasi von alleine und selbst aufstellten – weil gar nicht mehr Pferde auf den Punkt fit waren. So kann eine vermeintlich luxuriöse Situation auch mal zu einem Fluch werden. Ich bin sehr gespannt, wen Otto Becker für Barcelona nominieren wird. Mein kühner Vorschlag – ohne Netz und doppelten Boden: Jana Wargers mit Limbridge, Janne Friederike Meyer-Zimmermann mit Messi, Gerrit Nieberg mit Ben und Andre Thieme mit Chakaria (nicht deswegen, sondern trotzdem).
Schau’n mer mal!