Michael Jung hat sich gestern, kurz nach seinem Sieg auf dem Dressurviereck, mit seiner Bestnote von 18,8 Punkten als Prophet betätigt: „Ich denke, morgen werden zehn bis fünfzehn Pferde das Zeitlimit des Geländekurses von 9.50 Minuten schaffen.“ Im Augenblick, da die meisten Pferde über die Strecke gegangen sind, zeichnet sich ab, dass der Topfavorit dieser 15. WM am Ende recht behalten könnte. Christoph Wahler  hat 42,4 Punkte, Michael Jung 18,8 Punkte, Jasmin Ingham 23,2 Punkte und Tamara Smith Maibaum 24 Punke. Und Deutschland vor den USA und Neuseeland.   

Das Wichtigste aus meiner und gewiss unser aller Sicht: Christoph hat sehr konzentriert geritten, war ganz darauf aus, das Ziel auf jeden Fall zu erreichen. 24 Sekunden über der Zeit erscheint auf den ersten Blick etwas viel – vergessen wir aber nicht, dass Cristoph bei seiner ersten WM gleich der „Pfadfinder“ für das gesamte Feld war. Diese Aufgabe hat er im Interesse unserer Equipe sehr gut gemeistert. Seine erste Stellungnahme: „Ich konnte nicht alles so reiten wie es geplant war. Der Kurs kostet die Pferde sehr viel Kraft! Er ermüdet sie auch mental. Mein Pferd hat das überragend gemacht. Wenn wir heute Abend ins Bett gehen und ich bin immer noch das Streichergebnis – dann wäre ich sehr glücklich.“

Was in Wahlers erstem Statement unüberhörbar durchklingt: Ihm wie manch anderen WM-Teilnehmern gefällt dieser Kurs von Pratoni nicht besonders. Man kritisiert das ständige Auf und Ab für die Pferde, die giftigen Anstiege und die steilen Abwärtsstrecken. Der Boden erscheint knochentrocken, was man über den Lifestream der www.Sportschau.de recht gut erkennen kann. Hoffen wir mal, dass es im Laufe des Nachmittags nicht umschwenkt in ein Galopprennen! Damit stiege das Risiko. Und das könnte dem Wettkampf am Ende gar nicht gut tun.

Wer woher auch immer in der weiten Welt von mir wissen möchte, wie der Stand der Dinge ist, nachdem der Kurs seinem Ende zugeht, dem sei gesagt: Drei Nullrunden bei einer WM hat es für unsere Equipe wohl noch nie gegeben. In Sekundenschnelle lässt sich das nicht nachprüfen. Jedenfalls führt das Team von Peter Thomsen eine Dreiviertel Stunde vor Schluss mit 76,1 Punkten vor den USA mit 77,4 Punkten und Neuseeland mit 88,3 Punkten. Und Michael Jung, der Weltmeister von Lexington 2010, führt lässig mit seinen 18,8 Punkten aus der Dressur.

Alle drei agierten souverän auf dem 5600 Meter langen Kurs, der leider staubte ohne Ende. Augenzeugen berichteten mir, dass es in Pratino nicht gar so viele Zuschauer gegeben habe, wie erwartet und erhofft. Das deutsche Trio musste heute und muss auch morgen nicht auf die Fehler der andere warten, wenn sie morgen als Topfavorite und Springen der punktbesten 25 Pferde gehen wollen. Eine Schrecksekunde war der Vorbeiläufer der jungen Britin Laura Collett mit dem Holsteiner London – für den Bruchteil einer Sekunde hatte die Reiterin die Einwirkung verloren. Es fehlte leider die letzte Rittigkeit. Kritische Frage: Wie ist es möglich, dass jemand die Dressur mit 19,3 Punkten absolviert und dann tragisch scheitert an einer eigentlich harmlosen Bürste.

Mein kurzes Lob für Sandra Auffarth, die zum ersten Male seit Jahren eine Topleistung erbracht hat – genau zur richtigen Zeit. Mein Lob für Julia Krajewski, die ein Jahr nach dem Olympiasieg von Tokio eine Mandy in Topform präsentierte. Dass Michael Jung ein Reiter vom anderen Stern ist, dass wussten wir schon – ich jedenfalls habe nie gezweifelt, habe „Michi“ in den letzten Tagen zum Topfavoriten ausgerufen. Was mir gefällt (und was ich skeptisch gesehen habe) war der Spurt aus dem Dressurtag vom Donnerstag und Freitag. Michael Jung sagt kritisch: „Der Boden war leider nicht so ideal.“

Das Finalspringen morgen wird von 14.30 Uhr an auf dem Livestream übertragen. Zuvor allerdings müssen alle Pferde den Vet-Check überstehen.