Mit etwas Zeit und etwas Geschick kann der beharrliche Zeitgenosse in den Tiefen der Internetseite unseres Weltverbandes, der FEI, allerhand aufschlussreiche, ja sogar verblüffende Fakten finden und zutage fördern.

Wir erinnern uns: Als es bei der FEI-Jahresversammlung jüngst in Antwerpen darum ging, über die Reitregeln bei Olympia 2024 in Paris abzustimmen, votierten 70 Nationen dafür, das für Tokio neu geschaffene Regelwerk mit Dreier-Teams und ohne Streichresultate nicht zu ändern. 30 Nationen forderten hingegen die Rückkehr zum alten Regelwerk mit Vierer-Teams und Streichresultat.

Wer sind eigentlich, so hab‘ ich mich gefragt, die Mitgliedsländer der FEI? Und wo auf der großen weiten Welt gibt’s eigentlich Turniere, wo gibt’s Reiter und Pferde, die für Olympia überhaupt in Frage kommen?

Schlicht und einfach ist es so: Die FEI hat laut eigener aktuellen Auflistung 136 Mitgliedsländer. In Antwerpen waren immerhin 100 vertreten – dass in Zeiten von Corona nicht alle nach Europa anreisen konnten, liegt auf der Hand. Gleichwohl scheint der Vorwurf berechtigt, dass seit vielen Jahren auf solchen Jahrestreffen auch Funktionäre aus Ländern mit abstimmen dürfen, bei denen es daheim gar keinen oder nur geringfügigen Reitsport gibt.

Der vermeintlich demokratische Grundsatz lautet nämlich: Wer Mitgliedsland ist bei der FEI, ob etwa die Elfenbeinküste, die Mongolei oder auch Kambodscha – sie alle und viele mehr sind stimmberechtigt. Doch man glaubt es kaum: Auf der aktuellen Liste, penibel nachgezählt, hat es in diesem Jahr 2021 in 70 Ländern gar keine Turniere gegeben! In 35 Ländern finden sich lediglich zwischen null und drei aktiven Reitern.

Um es sogleich klarzustellen: Soll bitte hier und heute keiner sagen, die Corona-Pandemie sei an allem schuld! In Frankreich haben laut der FEI-Liste 441 Turniere stattgefunden, in Italien 309, in Deutschland 209, in den USA 426, in Großbritannien 140, in Belgien 262 und in den Niederlanden 161. Für die Schweiz sind 28 Turniere registriert, für Schweden 38.

Was will ich damit sagen? Im Weltverband der Reiter tobt seit vielen Jahren ein Wettstreit zwischen David und Goliath! Immer wieder werden die großen und starken Reiternationen überstimmt, obwohl sie, vor allem in Europa, den internationalen Turniersport tragen. Reiter aus aller Welt starten oft und gerne in Europa. Wenn’s aber darum geht, sportlich vernünftige Beschlüsse zu fassen, stimmen dieselben Reiter bzw. ihre nationalen Verbände konsequent gegen die sogenannten Großen.

In Tokio beispielsweise war ein Springreiter aus Syrien am Start – in seinem Land gab’s 2021 nur zwei Turniere. Der Reiter selbst, so war zu hören, habe diese beiden Turniere veranstaltet, um sich für Olympia zu qualifizieren. Das ist ein Witz! Nein, es ist leider kein Witz. Es ist ein Ärgernis.

Bleibt zu hoffen, dass es bis 2023 wenigstens gelingt, die FEI-Regeln zur Teilnahme an den Spielen von Paris drastisch zu verschärfen. Und ich schlage vor: Drei möglichst weltbekannte Aktive aus Springen, Dressur und Vielseitigkeit sollten sich bemühen um einen Termin bei IOC-Präsident Thomas Bach, um ihm zu erläutern, was seine Forderung nach „Mehr Flaggen!“ in der Wirklichkeit bedeutet, vor allem für die Pferde. Und sie sollten ihn freundlich fragen, ob er eigentlich weiß, dass bei der FEI vor allem die Länder die Mehrheit und damit das Sagen haben, in denen es gar keinen und nur sehr wenig Turniersport gibt.

Schließlich frage ich mich, wie es sein kann, dass Nationen, in denen es gar keinen Reitsport gibt, Mitglied werden können in der FEI? Sagen Sie jetzt nicht, das müsse halt so sein, um den olympischen Status von Dressur, Springen und Vielseitigkeit nicht zu gefährden! Wie wär’s denn, wenn wir uns endlich mal ehrlich machen würden.

Der Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton hat kürzlich gesagt, er wünsche sich im Kampf gegen Missstände aller Art „mehr meinungsstarke Sportler“. Hört, hört! Im aktuellen Fall ging es um das erste Formel-1-Rennen im Wüstenstaat Katar. In einem Jahr findet dort die nächste Fußball-WM statt. Immer wieder kritisieren Politiker aber auch Sportler die Missachtung der Menschenrechte in Katar. Aus Reiterkreisen hab‘ ich noch keine kritische Stimme gehört im Sinne von Lewis Hamilton. Das finde ich sehr traurig.